Rz. 360
Rz. 361
BGH NJW-RR 2016, 793 betont, dass zwar dort, wo der Geschädigte (etwa weil er noch am Anfang einer beruflichen Entwicklung gestanden hat) nur wenige konkrete Anhaltspunkte dazu liefern könne, wie sich sein Erwerbsleben voraussichtlich gestaltet hätte, keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. Die erleichterte Schadensberechnung nach § 252 S. 2 BGB lässt aber eine völlig abstrakte Berechnung des Erwerbsschadens nicht zu, sondern verlangt die Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Schadensermittlung. Ein Verletzter, dessen Arbeitskraft im arbeitsfähigen Alter beeinträchtigt worden ist, hat demgegenüber zu seinen Fähigkeiten und seinem bisherigen beruflichen und wirtschaftlichen Werdegang vorzutragen.
Rz. 362
Einem Geschädigten, der dem Erwerbsleben bereits zur Verfügung gestanden hat bzw. dessen Arbeitskraft im arbeitsfähigen Alter beeinträchtigt worden ist, kann ohne hinreichende Anhaltspunkte dafür, wie sich seine Erwerbstätigkeit ohne das schädigende Ereignis voraussichtlich entwickelt hätte, kein abstrakt geschätzter Mindestschaden zugesprochen werden. Er hat zu seinen Fähigkeiten und seinem bisherigen beruflichen und wirtschaftlichen Werdegang vorzutragen.
Rz. 363
Nach den Feststellungen der Rentenversicherer liegt das durchschnittliche Verrentungsalter bei Arbeitern und Angestellten deutlich vor den gesetzlich vorgesehenen Altersgrenzen. Dem gegenüber ist nach der BGH-Rechtsprechung bei unselbstständig Tätigen, – in Anlehnung an die gesetzgeberische Wertung – entgegen allen bekannten statistischen Erfahrungswerten (Rdn 336 ff.) grundsätzlich von einem Erwerbsleben-Endalter von 65/67 Jahren (Ende am letzten Tag desjenigen Monates, in dem der Arbeitnehmer sein 65./67. Lebensjahr vollendet) auszugehen.
Rz. 364
Nach der Rechtsprechung ist der Erwerbsschaden eines Arbeitnehmers nach § 35 Nr. 1 SGB VI i.d.R. bis zum vollendeten 65./67. Lebensjahr (zu den Stufen siehe § 235 SGB VI) auszugleichen. Zwischen männlichen und weiblichen Versicherten wird nicht mehr unterschieden.
Rz. 365
Eine vom Regelalter abweichende vorzeitige Beendigung des Erwerbslebens hat grundsätzlich der Ersatzverpflichtete darzulegen und zu beweisen. Der Ersatzpflichtige kann seine Argumentation zum Lebensarbeitszeitende dabei nicht auf die durchschnittlichen Renten- bzw. Pensionsalter aller Arbeiter, Angestellten bzw. Beamten stützen.
Rz. 366
Übliche Verhaltensweisen einer vergleichbaren Personengruppe sind bei der Ermittlung des hypothetischen Endes des Arbeitslebens aber zu berücksichtigen (siehe § 252 BGB). Wenn der Ersatzpflichtige also ausreichend darlegen kann, dass aus einer eingegrenzten, überschaubaren und dem Geschädigten vergleichbaren Gruppe eine deutliche Mehrheit z.B. vor dem 62. Lebensjahr ausscheidet, führt dieses jedenfalls zu einer Beweislastumkehr zu Lasten desjenigen, der eine längere Lebensarbeitszeit als in dieser Gruppe üblich vorträgt. Eine Beweislastumkehr nimmt einer Partei, der sie zum Nachteil gereicht, nicht die Möglichkeit, den Beweis des Gegenteils zu führen.
Rz. 367
Bei der Prognose zur voraussichtlichen Entwicklung der Erwerbstätigkeit des Geschädigten ohne das Unfallereignis sind auch solche Entwicklungen einzubeziehen, die sich erst nach dem Unfallgeschehen und bis zur letzten mündlichen Verhandlung ergeben. Der BGH führt hierzu aus:
Zitat
Bei der Ermittlung sowohl der Höhe als auch der Dauer des dem Geschädigten entstandenen Verdienstausfalls ist eine Prognose des gewöhnlichen Laufs der Dinge, wie sie sich ohne das Schadensereignis entwickelt hätten, anzustellen (§ 252 BGB). Es geht insoweit nicht nur um die Berücksichtigung eventueller überholender Kausalitäten, sondern um die Schadensermittlung als solche auf der Basis des Sachverhalts, wie er sich voraussichtlich in Zukunft dargestellt hätte. In diesem Rahmen kommt nicht nur der Frage Bedeutung zu, ob auch ohne das konkrete Schadensereignis beim Verletzten eine entsprechende gesundheitliche Entwicklung mit vergleichbaren beeinträchtigenden Auswirkungen zum Tragen gekommen wäre; es ist vielmehr auch das Risiko in die Betrachtung miteinzubeziehen, dass durch die bereits vorhandene Erkrankung für die künftige berufliche Situation des Geschädigten bestanden hat.
Dementsprechend ist eine Verdienstausfallrente auf die voraussichtliche Dauer der Erwerbstätigkeit des Geschädigten, wie sie sich ohne das haftungsbegründende Ereignis gestaltet hätte, zu begrenzen; hierbei sind Anhaltspunkte für eine vom gesetzlich vorgesehenen Normalfall abweichende voraussichtliche Entwicklung zu berücksichtigen.“
Rz. 368
Konkrete individuelle Umstände (wahrscheinliche vorzeitige Invalidisierung, verletzungsunabhängige Erkrankung, unstete Arbeitsweise, Konkurs des Arbeitgebers in strukturschwacher Gegend, sonstige Gründe überholender Kausalität) können einen reduzierten Kapitalisierungsfaktor bedingen. Diese anderweitigen Umstände sind allerding...