I. Ermittlungsaktenauszug
Rz. 6
Zum Anspruch des Verteidigers auf Akteneinsicht siehe auch die späteren Erläuterungen (vgl. § 18 Rdn 5-16).
Rz. 7
Der Verteidiger darf sich Ablichtungen aus den Akten anfertigen (BGHSt 18, 369). Einsicht in die Ermittlungsakten darf er allerdings weder seinem Mandanten noch anderen Personen gewähren. Nur wenn der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird und auch keine Verwendung zu verfahrensfremden Zwecken droht, darf er seinem Mandanten Aktenauszüge übergeben (BGH NJW 1980, 64).
Rz. 8
Die Übersendung eines Aktenauszuges ist weder zu beanstanden, wenn sie an die gegnerische Versicherung, noch ist sie zu beanstanden, wenn sie an die des Mandanten erfolgt. Dennoch muss der Anwalt immer überprüfen, ob im Einzelfall nicht ein Interessenkonflikt entstehen kann.
II. Einlassung
Rz. 9
Es ist nicht zu beanstanden, dass der Verteidiger seinen Mandanten über die Rechtslage und seine Rechte umfassend belehrt (OLG Düsseldorf JR 1984, 257), auch dann nicht, wenn er ihn schon belehrt, bevor er sich überhaupt dessen Sachverhaltsschilderung angehört hat. So darf er ihm z.B. Konstellationen nennen, bei deren Vorliegen der Mandant straffrei bliebe.
Rz. 10
Dem Verteidiger ist - solange er nicht wider besseres Wissen handelt - ein Vorwurf auch dann nicht zu machen, wenn er eine Einlassung weitergibt, von deren Unrichtigkeit er überzeugt ist (BGH, Beschl. v. 16.9.1981 - 3 StR 234/81). Eine Strafvereitelung (§ 258 StGB) würde er allerdings dann begehen, wenn er unwahre Einlassungen des Mandanten anregen oder gar erfinden würde.
Rz. 11
Achtung: Strafbarkeit nach § 164 Abs. 2 StGB:
Eine falsche Verdächtigung gem. § 164 Abs. 2 StGB begeht der Anwalt, der wider besseren Wissens (eine Bußgeldsache genügt) einen falschen Fahrer angibt (zu den Einzelheiten s. § 9 Rdn 7).
Darüber hinaus macht er sich eines berufsrechtlichen Verstoßes gegen § 43a BRAO, der die Verbreitung von Unwahrheiten verbietet, schuldig (Anwaltsgerichtshof Celle, Urt. v. 17.8.18 - 2 AnwG 2/2018).
Rz. 12
Tipp
Ein Rechtsanwalt, der sich im Auftrag eines Mandanten äußert, wird nicht als Privatperson, sondern in seiner Funktion als Rechtsanwalt und Vertreter seines Mandanten tätig. Er stellt somit keine persönlichen Behauptungen auf und kann deshalb wegen etwaiger ehrenrühriger Äußerungen nicht persönlich auf Unterlassung verklagt werden (BVerfG AnwBl 1996, 468).
Rz. 13
Tipp
Zur Abgrenzung zulässigen Verteidigerverhaltens von Strafvereitelung siehe OLG Düsseldorf StraFo 1997, 333.
Rz. 14
Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Anwalt, der die selbstbelastende Sachverhaltsschilderung seines Mandanten kennt, ihm zum Schweigen rät. Solange nicht eine bewusst wahrheitswidrige Abstimmung erfolgt, ist schließlich auch die Koordination der Einlassungen mehrerer Beschuldigter durch die Verteidiger zulässig (OLG Frankfurt NStZ 1981, 144).
III. Eigene Ermittlungen
Rz. 15
Eigene Ermittlungen des Verteidigers sind zulässig. Er darf Zeugen hören und ihre Aussagen schriftlich fixieren (OLG Frankfurt NStZ 1981, 144). Generell darf der Verteidiger - er kann hierzu seinem Mandanten gegenüber geradezu verpflichtet sein - mit allen Personen Kontakt aufnehmen, die für die Verteidigung von Bedeutung sein können und auf einen Zeugen dahingehend einwirken, dass er von seinem Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht.
Rz. 16
Da Gerichte einer vom Verteidiger durchgeführten Zeugenvernehmung - wenn sie überhaupt von deren Zulässigkeit ausgehen - mit großem Misstrauen begegnen, muss der Verteidiger größte Sorgfalt walten lassen; er muss schon den bloßen Anschein vermeiden, er wolle den Zeugen beeinflussen. Aus diesem Grunde ist es ratsam, ihn vor seiner Befragung eingehend zu belehren.
Rz. 17
Aus Beweissicherungsgründen sollte der Verteidiger den Zeugen um schriftliche Bestätigung der Belehrung und der Aussage bitten. Unliebsame Überraschungen in der Hauptverhandlung werden durch den Hinweis vermieden, dass der Zeuge auf Frage hin das mit dem Verteidiger geführte Gespräch erwähnen muss.
IV. Unfallflucht
Rz. 18
Anstelle des Schädigers darf der Verteidiger die Schadensregulierung durchführen (mit der Schadensregulierung nimmt die Intensität ab, mit der in Fluchtfällen ermittelt wird).
Rz. 19
Der Verteidiger darf - dies erwartet der Mandant geradezu von ihm - den Mandanten vor der zu erwartenden Ermittlungstätigkeit der Polizei warnen, ihn z.B. darauf hinweisen, dass die Polizei in allen im Umkreis liegenden Reparaturwerkstätten nach Fahrzeugen mit einem passenden Beschädigungsbild fahnden wird. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn er seinem Mandanten von einer Selbstanzeige abrät (BGH NJW 1952, 899).
Rz. 20
Die Rechtsbelehrung in Unfallfluchtfällen umfasst natürlich auch die Schadenshöhe, ab der nach der Rechtsprechung regelmäßig die Fahrerlaubnis entzogen wird. ...