I. Parteiverrat, § 356 StGB
Rz. 38
Vertritt der Anwalt mehrere an einem Unfall beteiligte Mandanten, ist von Anfang an der Frage, ob eine widerstreitende Interessenlage entstehen kann, größte Aufmerksamkeit zu widmen.
Rz. 39
Beispielsweise kann bei der gleichzeitigen Vertretung von Fahrer und verletztem Insassen spätestens dann eine Pflichtenkollision entstehen, wenn der Unfallgegner - wenn auch im Endergebnis völlig ungerechtfertigt - eine Mithaftung des Fahrers behauptet.
Rz. 40
Da seit dem Inkrafttreten des 2. Schadensrechtsänderungsgesetzes der Beifahrer gegen seinen Fahrer auch ohne Nachweis eines Verschuldens Ansprüche hat, droht bei der Übernahme des Mandates für beide eine solche Pflichtenkollision sogar von Anfang an; abgesehen von der extrem seltenen Ausnahme der höheren Gewalt, haftet der Fahrer neben dem Unfallschuldigen dem Beifahrer nämlich als Gesamtschuldner.
Rz. 41
Tipp
Dennoch wird indessen in eindeutigen Haftungsfällen nicht von widerstreitenden Interessen zwischen Fahrer und Beifahrer ausgegangen werden können. Ein solches interessengegensätzliches Handeln ist jedoch im § 356 StGB vorausgesetzt (OLG Düsseldorf DAR 2003, 83).
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Mandate von Anfang an auf Ansprüche gegen Dritte beschränkt worden sind. Dann kann kein Interessengegensatz entstehen und eine solche Beschränkung ist zulässig, da im Zivilrecht die Parteien ihr Interesse selbst bestimmen können. In diesem Sinne haben auch die meisten Kammern bei einer im Jahre 2004 durchgeführten Umfrage votiert.
Rz. 42
Die Brisanz der Frage wird besonders im Falle der Vertretung von Ehepartnern, Freunden oder Arbeitskollegen häufig verkannt, denn die Pflichtwidrigkeit der anwaltschaftlichen Tätigkeit ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der erste Mandant sich mit der Vertretung des anderen einverstanden erklärt hat (BGHSt 18, 192; OLG Zweibrücken NStZ 1995, 35), und zwar unabhängig davon, ob das erste Mandat beendet war oder nicht (RGSt 66, 104).
Rz. 43
Im Strafverfahren sind der Beschuldigte und der durch die Tat Verletzte Parteien (BGHSt 5, 285), so dass bei der Vertretung von Fahrer und verletztem Beifahrer diese Grundsätze auch im Falle der Nebenklage zu beachten sind. Widerstreitende Interessen können auch bei der Nebenklagevertretung von Fahrer und Beifahrer spätestens dann entstehen, wenn der Unfallgegner eine Mithaftung des Fahrers einwendet.
Rz. 44
Schließlich kann Parteiverrat vorliegen, wenn der Anwalt den Unfallfahrer verteidigt und - gleich, ob zur selben Zeit oder danach - die Interessen eines Unfallgeschädigten vertritt, auch wenn dies mit dem Einverständnis der Beteiligten geschieht. Daran ändert nichts, dass die Ansprüche nur gegen den hinter dem Fahrer stehenden Haftpflichtversicherer gerichtet werden (BayObLG NJW 1995, 606; OLG Saarbrücken zfs 2015, 509). Problematisch kann schließlich bereits die Beschaffung eines Aktenauszuges für die gegnerische Versicherung sein.
II. Zahl der Verteidiger, § 137 StPO
Rz. 45
Die Zahl der Verteidiger ist auch im Bußgeldverfahren (OLG Düsseldorf VRS 85, 321) auf drei beschränkt. Dabei ist ein Unterbevollmächtigter, der neben dem Vollmachtgeber auftritt, mitzuzählen. Selbst wenn die Vollmacht auf mehr als drei Mitglieder einer Sozietät ausgestellt ist, liegt ein Verstoß gegen § 137 StPO nicht vor, wenn sich nicht mehr als drei Mitglieder der Sozietät zum Verteidiger bestellen (BVerfGE 43, 79; LG Kempten zfs 2004, 285; LG Bielefeld zfs 2005, 314).
III. Gemeinschaftliche Verteidigung, § 146 StPO
Rz. 46
Das Verbot der gemeinschaftlichen Verteidigung mehrerer Betroffener durch einen Verteidiger gilt auch im Bußgeldverfahren (BVerfGE 45, 272).
Rz. 47
Unzulässig ist die gemeinschaftliche Verteidigung in folgenden Fällen:
1. Dieselbe Tat
Rz. 48
Dieses Verteidigungsverbot gilt auch dann, wenn in getrennten Verfahren gegen die Betroffenen wegen derselben Tat ermittelt wird und der Verteidiger in jedem Verfahren nur einen Betroffenen verteidigt (BVerfG NJW 1976, 231).
Rz. 49
Dieselbe Tat liegt wohl auch dann vor, wenn der erste Beschuldigte wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG und der zweite wegen einer zugrunde liegenden Zuwiderhandlung verfolgt wird, nicht aber bei gleichzeitiger Verteidigung des persönlich Betroffenen und der zugehörigen juristischen Person, § 30 OWiG (BVerfGE 45, 272).
Rz. 50
Tipp
Tatidentität ist nicht gegeben beim Führen eines Kraftfahrzeuges mit Sicherheitsmängeln (oder ohne Fahrerlaubnis) und Anordnen bzw. Zulassen der Fahrt durch den Halter, so dass die Verteidigung von Fahrer und Halter in gleichzeitig laufenden (nicht verbundenen) Verfahren durch einen Verteidiger zulässig ist (LG Hamburg NZV 1990, 325; LG Verden DAR 1991, 113; LG Berlin DAR 2002, 91).
2. Verfahrensidentität
Rz. 51
Mit der Verfahrensverbindung wird die Verteidigung auch dann unzulässig, wenn es sich um verschiedene Taten handelt. Eine zum Ausschluss des Verteidigers führende Verfahrensverbindung kann allerdings er...