A. Ausschluss von Doppelmandaten
Rz. 1
In Verkehrssachen ist die Gefahr von Doppelmandaten besonders groß. Ohne wirksame Kontrolle, zu der der Anwalt schon aus Standesgründen verpflichtet ist, wird oft erst sehr spät erkannt, dass ein Doppelmandat angenommen wurde (z.B. verteidigt ein Anwalt der Sozietät den Unfallfahrer, während gleichzeitig der Sozius die Ansprüche des Geschädigten gegen den Fahrzeughalter und dessen Versicherung geltend macht).
Rz. 2
Welch groteske Situationen entstehen können, wenn keine ausreichende Kontrolle betrieben wird, haben neulich Saarbrücker Kollegen erfahren: Über das von ihnen erstrittene Versäumnisurteil konnten sie sich nur so lange freuen, bis sie feststellten, dass sie für beide Prozessparteien tätig waren.
Rz. 3
Ein Doppelmandat kann nicht nur zu standes- und strafrechtlichen Problemen führen. Der Anwalt bringt sich zudem auch noch um den Lohn seiner Arbeit, da er verpflichtet ist, beide Mandate sofort - und ohne ein Honorar verlangen zu können - niederzulegen. In Verkehrssachen sind deshalb gewissenhafte Kontrollmaßnahmen unerlässlich. Am besten, die Kontrolle setzt bereits bei der ersten Terminvereinbarung ein.
Rz. 4
Eine einfache und effektive Kontrolle ermöglicht ein Unfalltagebuch: Ein solches lässt sich etwa führen, indem man in einen normalen Kalender unter dem Ereignisdatum sämtliche verfügbaren Informationen zu den Parteien einträgt.
Rz. 5
Solange nicht sämtliche Unfallbeteiligte - nicht nur Fahrer, sondern auch die Halter und verletzte Beifahrer - bekannt sind, ist bei identischem Unfalldatum größte Vorsicht geboten!
B. Berufs- bzw. strafrechtliche Fragen
I. Ermittlungsaktenauszug
Rz. 6
Zum Anspruch des Verteidigers auf Akteneinsicht siehe auch die späteren Erläuterungen (vgl. § 18 Rdn 5-16).
Rz. 7
Der Verteidiger darf sich Ablichtungen aus den Akten anfertigen (BGHSt 18, 369). Einsicht in die Ermittlungsakten darf er allerdings weder seinem Mandanten noch anderen Personen gewähren. Nur wenn der Untersuchungszweck nicht gefährdet wird und auch keine Verwendung zu verfahrensfremden Zwecken droht, darf er seinem Mandanten Aktenauszüge übergeben (BGH NJW 1980, 64).
Rz. 8
Die Übersendung eines Aktenauszuges ist weder zu beanstanden, wenn sie an die gegnerische Versicherung, noch ist sie zu beanstanden, wenn sie an die des Mandanten erfolgt. Dennoch muss der Anwalt immer überprüfen, ob im Einzelfall nicht ein Interessenkonflikt entstehen kann.
II. Einlassung
Rz. 9
Es ist nicht zu beanstanden, dass der Verteidiger seinen Mandanten über die Rechtslage und seine Rechte umfassend belehrt (OLG Düsseldorf JR 1984, 257), auch dann nicht, wenn er ihn schon belehrt, bevor er sich überhaupt dessen Sachverhaltsschilderung angehört hat. So darf er ihm z.B. Konstellationen nennen, bei deren Vorliegen der Mandant straffrei bliebe.
Rz. 10
Dem Verteidiger ist - solange er nicht wider besseres Wissen handelt - ein Vorwurf auch dann nicht zu machen, wenn er eine Einlassung weitergibt, von deren Unrichtigkeit er überzeugt ist (BGH, Beschl. v. 16.9.1981 - 3 StR 234/81). Eine Strafvereitelung (§ 258 StGB) würde er allerdings dann begehen, wenn er unwahre Einlassungen des Mandanten anregen oder gar erfinden würde.
Rz. 11
Achtung: Strafbarkeit nach § 164 Abs. 2 StGB:
Eine falsche Verdächtigung gem. § 164 Abs. 2 StGB begeht der Anwalt, der wider besseren Wissens (eine Bußgeldsache genügt) einen falschen Fahrer angibt (zu den Einzelheiten s. § 9 Rdn 7).
Darüber hinaus macht er sich eines berufsrechtlichen Verstoßes gegen § 43a BRAO, der die Verbreitung von Unwahrheiten verbietet, schuldig (Anwaltsgerichtshof Celle, Urt. v. 17.8.18 - 2 AnwG 2/2018).
Rz. 12
Tipp
Ein Rechtsanwalt, der sich im Auftrag eines Mandanten äußert, wird nicht als Privatperson, sondern in seiner Funktion als Rechtsanwalt und Vertreter seines Mandanten tätig. Er stellt somit keine persönlichen Behauptungen auf und kann deshalb wegen etwaiger ehrenrühriger Äußerungen nicht persönlich auf Unterlassung verklagt werden (BVerfG AnwBl 1996, 468).
Rz. 13
Tipp
Zur Abgrenzung zulässigen Verteidigerverhaltens von Strafvereitelung siehe OLG Düsseldorf StraFo 1997, 333.
Rz. 14
Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn der Anwalt, der die selbstbelastende Sachverhaltsschilderung seines Mandanten kennt, ihm zum Schweigen rät. Solange nicht eine bewusst wahrheitswidrige Abstimmung erfolgt, ist schließlich auch die Koordination der Einlassungen mehrerer Beschuldigter durch die Verteidiger zulässig (OLG Frankfurt NStZ 1981, 144).
III. Eigene Ermittlungen
Rz. 15
Eigene Ermittlungen des Verteidigers sind zulässig. Er darf Zeugen hören und ihre Aussagen schriftlich fixieren (OLG Frankfurt NStZ 1981, 144). Generell darf der Verteidiger - er kann hierzu seinem Mandanten gegenüber geradezu verpflichtet sein - mit allen Personen Kontakt aufnehmen, die für die Verteidigung von Bedeutung sein können und auf einen Zeugen dahingehend einwirken, dass er von seinem Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht.