Julian Backes, Sven Eichler
I. Historie
Rz. 329
Die Nichteinhaltung des Sicherheitsabstandes gehört mit zu den Hauptunfallursachen in der Verkehrsunfallstatistik, weshalb der Abstandsüberwachung zunehmend Bedeutung beigemessen wird.
Rz. 330
Das richtige Abstandsverhalten ist in § 4 StVO geregelt, wobei drei Abstandsregeln unterschieden werden (vgl. auch § 3 Rdn 96). Dort heißt es:
Zitat
(1) |
Der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug muss i.d.R. so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn plötzlich gebremst wird. Der Vorausfahrende darf dabei nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen. |
(2) |
Kfz, für die eine besondere Geschwindigkeitsbegrenzung gilt, sowie Züge, die länger als 7 m sind, müssen außerhalb geschlossener Ortschaften ständig so großen Abstand von dem vorausfahrenden Kfz halten, dass ein überholendes Kfz einscheren kann. Das gilt nicht,
1. |
wenn sie zum Überholen ausscheren und dies angekündigt haben, |
2. |
wenn in der Fahrtrichtung mehr als ein Fahrstreifen vorhanden ist oder |
3. |
auf Strecken, auf denen das Überholen verboten ist. |
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(3) |
Lastkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t und Kraftomnibusse müssen auf Autobahnen, wenn ihre Geschwindigkeit mehr als 50 km/h beträgt, von vorausfahrenden Fahrzeugen einen Mindestabstand von 50 m einhalten. |
Rz. 331
Durch diese Abstandsregelung sollen in erster Linie Auffahrunfälle verhindert werden. Sie enthält aber keine konkreten Vorgaben, wie groß der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug sein soll. Hier hat die Rechtsprechung die ersten exakten Größen mit
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dem "gefährdenden Abstand" (= Fahrstrecke in 0,8 s; vgl. dazu auch OLG Karlsruhe VRS 34/295) und |
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dem "erforderlichen Sicherheitsabstand" (= Fahrstrecke in 1,5 s; vgl. dazu auch BGH VRS 34, 89) |
definiert.
Jedoch ist nicht nur die Größe des Abstandes relevant, vielmehr ist auch die Dauer der Abstandsunterschreitung von Bedeutung. So verlangt die Rechtsprechung für die gravierende Androhung eines Bußgeldes eine "nicht nur ganz vorübergehende" Unterschreitung des Sicherheitsabstandes, wobei sich die Auslegung der entsprechenden Wegstrecke (von anfangs 250 m bis 300 m) bis heute merklich gewandelt hat.
Rz. 332
Bei der Abstandsbewertung seit 1970 wurde zunächst ein Verwarnungsgeldtatbestand zugrunde gelegt, der erst dann als Bußgeldtatbestand beanzeigt und sanktioniert werden konnte, wenn folgende, aus der Rechtsprechung formulierte, Parameter erfüllt waren:
1. |
die Geschwindigkeit lag über 80 km/h, |
2. |
der Abstand war gefährdend, betrug also weniger als die Fahrstrecke in 0,8 s, |
3. |
die Abstandsunterschreitung dauerte über eine nicht nur ganz vorübergehende Wegstrecke, also mindestens 250 m bis 300 m und |
4. |
es traten keine Abstandsveränderungen durch Abbremsen des vorausfahrenden Fahrzeuges oder durch Einscheren anderer Fahrzeuge ein. |
Dabei gab es in der BKatV ursprünglich nur eine Bußgeldandrohung. Erst mit Einführung der Abstandsüberwachungen mittels Video und folgend der Einführung der BKatV v. 4.7.1989 wurden mehrere Bußgeldkategorien geschaffen. Hier wurden je nach Geschwindigkeit (mehr als 80 km/h – mehr als 100 km/h – mehr als 130 km/h) und Abstand zehn Bußgeldkategorien mit und ohne Fahrverbot unterschieden.
Rz. 333
Betrachtet man neben der Entwicklung der Verordnungsgebung die Entwicklung der Technik, so ist im zeitlichen Ablauf eine gewisse Parallelität zu erkennen.
Rz. 334
Die Entwicklung der Abstandsmessverfahren setzt in den 70er-Jahren ein. Stationäre Messverfahren wurden zunächst mit Fotoaufnahmetechnik eingeführt. Diese Messverfahren erforderten allerdings eine sehr zeitaufwendige Auswertung, weshalb sie Mitte der 80er-Jahre von der Videotechnik abgelöst wurden. Mit dieser Einführung der "bewegten" Bilder lassen sich Abstandsverstöße effizient und nachvollziehbar dokumentieren und ab diesem Zeitpunkt kommen die ersten Abstandsüberwachungen in Serie zustande.
Rz. 335
Bezeichnend war, dass die ersten Videoabstandsüberwachungsanlagen von den Überwachungsbehörden selbst entwickelt wurden, wobei im Wesentlichen handelsübliche Videoprodukte Verwendung fanden.
Hinweis
Der Vorteil der Videoüberwachung ggü. der Fotodokumentation besteht darin, dass mit einer Kamera das gesamte Verkehrsgeschehen an einer Kontrollstelle aufgezeichnet wird und erst im Nachhinein, nach dem Durchfahren der Messstelle, die individuelle Aufnahme von Fahrer und Fahrzeug mit einer zweiten Kameraeinheit erfolgt, wenn die Beobachtung des Fahrablaufes den konkreten Verdacht einer Ordnungswidrigkeit ergibt.
Rz. 336
Bei einigen Abstandsüberwachungsanlagen scheint man die ursprünglichen Anforderungen "gerne" vergessen zu haben. Nur so lässt es sich erklären, dass bspw. bei den ersten bayerischen Abstandsmessverfahren die technische Voraussetzung zur Bewertung des Abstandsverhaltens in Entfernungen von mehr als 150 m gar nicht erst geschaffen wurde oder bei der Anwendung des Überwachungsgerätes (wie bspw. bei Vidit VKS) die Möglichkeit zugelassen wurde, dass solche Anforderungen nicht erfüllt werden müssen.
Ei...