Julian Backes, Sven Eichler
Rz. 446
In aller Regel werden die dem Tatvorwurf zugrunde gelegte Geschwindigkeit und der vorwerfbare Abstand von der Behörde durch eine nur einmalige Auswertung ermittelt.
Es wird also (pro Fahrzeug) nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit gebildet, aus der sich gar keine Hinweise auf mögliche Veränderungen (wie Bremsvorgänge) ergeben können.
Obwohl die nötige Funktion in der Maske der VKS-Auswertesoftware impliziert ist und die Möglichkeit bietet, ohne großen Mehraufwand eine zweifache Auswertung von Geschwindigkeit und Abstand vorzunehmen (um die Konstanz und Kausalität der Verkehrssituation zumindest einzugrenzen), stellt der Verzicht auf diese Option "den Klassiker" unter den Fehlerquellen dar.
Dies selbst dann, wenn ein simpler Blick auf die bei der Auswertung festgestellten Differenzgeschwindigkeiten zwischen den Fahrzeugen (Vorausfahrer deutlich schneller oder langsamer) jeden Anlass dazu gibt, die Abläufe genauer zu betrachten.
Rz. 447
Hierzu folgendes Fallbeispiel:
Von der Behörde wurde für das gemessene Fahrzeug bei einem Abstand von weniger als 5/10 eine Geschwindigkeit von 114 km/h und für den vorausfahrenden Pkw von 108 km/h ermittelt; einhergehend wurde eine Abstandsverringerung festgestellt.
Dem gegenüber lässt sich bei optischer Inaugenscheinnahme erkennen, dass es über den behördlich markierten Messbereich zu einer Abstandsvergrößerung bei gleichzeitig jeweils niedrigerer Geschwindigkeit des gemessenen Pkw kommt.
Da die behördliche Auswertestrecke im konkreten Fall weniger als 50 m beträgt, wurde nach Aktenlage keine Bewertung von Kausalität und Konstanz vorgenommen (hierzu sind bei einer Auswertung mittels VKS-Auswertesoftware zwei Teilstrecken von jeweils 25 m Länge, also mindestens 50 m je Fahrzeug erforderlich) und den schon optisch erkennbaren Unregelmäßigkeiten keine Beachtung geschenkt.
Zur unabhängigen Bewertung von Kausalität und Konstanz des Geschwindigkeits- und Abstandsniveaus wurden die beiden behördlich markierten Teilstrecken (P2/P3 – K1/K2; K1/K2 – P1/P4) herangezogen.
Abbildung 23: das gemessene Fahrzeug in Höhe der Passpunkte P1/P4
Bei jeweiliger Positionierung der Vorderachse an den gelben Hilfslinien und ohne weitere Toleranzbetrachtung ergaben sich folgende Werte:
|
Vorausfahrer |
Zeitabstand |
Betroffener |
Höhe P2/P3 |
04:09 |
0,68 s |
05:21 |
P2/P3 bis K1/K2 |
121 km/h |
|
118 km/h |
Höhe K1/K2 |
06:14 |
0,72 s |
07:08 |
K1/K2 bis P1/P4 |
105 km/h |
|
100 km/h |
Höhe P1/P4 |
08:00 |
0,80 s |
08:19 |
|
|
|
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Differenz: |
– 16 km/h |
+ 0,12 s |
– 18 km/h |
Im Vergleich beider Teilstrecken ist beim Vorausfahrer also eine Geschwindigkeitsreduzierung um etwa 15 km/h zu erkennen.
Beim gemessenen Fahrzeug errechnet sich im Vergleich beider Durchschnittsgeschwindigkeiten sogar eine Geschwindigkeitsreduzierung um etwa 20 km/h.
Einhergehend mit den jeweils etwas niedrigeren Geschwindigkeiten des gemessenen Pkw kommt es in dieser Phase trotzdem zu einer Abstandsvergrößerung zwischen den Fahrzeugen.
Das Fahrverhalten des gemessenen Pkw ist somit weder unbeeinflusst noch konstant.
Um die Dimension bzw. Dauer dieser Fahrabläufe weiter einzugrenzen, wurde die im Vorfeld des VKS-Bereiches erkennbare 50 m – Markierung des Vorgängersystems VSTP (quer über den Fahrstreifen verlaufende Linien) herangezogen.
Setzt man diese Geschwindigkeit in Bezug zur Teilstrecke K1/K2 – P1/P4, ist dem Vorausfahrer und dem gemessenen Fahrzeug über eine Wegstrecke von etwa 150 m eine Verlangsamung um etwa 30 km/h zu attestieren.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass dem gemessenen Fahrzeug in dieser Phase weiterer Verkehr nachfolgt und dadurch eine Einschränkung des Reaktionspotenzials vorliegt.
So war der Abstand des unmittelbar nachfolgenden Pkw, der im Vergleich beider Teilstrecken ebenfalls eine Verlangsamung um etwa 20 km/h zeigt, fortwährend im Grenzbereich zwischen weniger als 5/10 bis weniger als 4/10 des halben Tachowertes zu bestimmen.
Auf den direkten Nachfolger schließt wiederum ein den Fahrstreifen wechselnder Pkw auf, der im Nahbereich ein deutlich höheres Geschwindigkeitsniveau zeigt und dessen Abstand sich von mehr 5/10 bis in einen Bereich von weniger als 4/10 des halben Tachowertes verringert.
Dass das gemessene Fahrzeug in diesem Kontext dennoch ausgewertet und beanzeigt wurde, ist bei gutwilliger Auslegung darauf zurückzuführen, dass das Auswertepersonal mit einer derart hohen Zahl an zu bearbeitenden Vorgängen konfrontiert ist, dass es sich die erforderliche Zeit zur Auseinandersetzung mit dem einzelnen Vorgang einfach nicht nehmen kann.
Stattdessen zeigt die tägliche Praxis, dass die Liste vorselektierter Fälle schlicht "abgearbeitet", aber eben nicht hinterfragt wird.
Rz. 448
Ein positives Beispiel stellte insofern – bis zur Umstellung auf das VKS 4.5 und eine augenscheinlich neue "Arbeitsanweisung" – das einstige Vorgehen des PP Köln, Direktion Verkehr VI3, dar. Sowohl bei Pkw als auch Lkw wurde eine möglichst streckenintensive und stets zweifache Auswertung seitens der Behörde aus eigenem Antrieb durchgeführt.
Folgende Abbildung zeigt hierzu ein...