Julian Backes, Sven Eichler
Rz. 223
In den letzten Jahren werden vermehrt moderne Wechselverkehrszeichenanlagen (WVZ-Anlagen) eingesetzt. So gerechtfertigt diese Maßnahme im Allgemeinen erscheint, um im dichter werdenden Verkehr die Sicherheit zu erhöhen, entstehen doch gleichzeitig neue Fragestellungen beim Einsatz von Geschwindigkeitsüberwachungsgeräten mit einer Anbindung an eine solche Anlage.
Rz. 224
Es ist zunächst festzustellen, dass bei einer Anordnung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch eine WVZ-Anlage dieser Wert ebenso großen Einfluss auf den etwaigen Tatvorwurf hat wie der eigentliche Messwert. Somit ist aus technischer Sicht zu fordern, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit mit gleicher Sicherheit dokumentiert wird wie die festgestellte Geschwindigkeit.
Rz. 225
Interessanterweise wurden den Verfassern Unterlagen zu WVZ-Anlagen und zur Kopplung dieser an Geschwindigkeitsüberwachungseinrichtungen bis dato im Rahmen von Begutachtungen nie zur Verfügung gestellt. Deswegen stehen die Untersuchungen zu diesen noch am Anfang und die im folgenden genannten Fehlermöglichkeiten stellen lediglich eine grobe Abschätzung dar, die im Rahmen vertiefender Arbeiten noch verfeinert werden muss.
1. Zulassungsprüfung
Rz. 226
Um die Messsicherheit zu gewährleisten, wird die Bauart eines Messgerätes zunächst durch die PTB zur Eichung zugelassen und dann regelmäßig durch ein Eichamt technisch geprüft. Dies gilt nicht für WVZ-Anlagen.
Rz. 227
Die PTB stellt hierzu in den PTB-Anforderungen (PTB-A 12.12) im Kapitel 1.7.2 lapidar fest:
Zitat
"Geschwindigkeitsmessgeräte dürfen nur an Wechselverkehrszeichenanlagen angeschlossen werden, die den Technischen Lieferbedingungen für Streckenstationen (TLS) Ausgabe 2002 oder Ausgabe 2012 entsprechen."
Rz. 228
Wohlgemerkt hier ist lediglich von der Datenübertragung die Rede!
Rz. 229
In der entsprechenden Vorschrift findet sich in Kapitel 3.6 der Absatz:
Zitat
"Die Festlegungen hierzu erfolgen jeweils projektspezifisch."
Rz. 230
Dieser Satz belegt, dass die Schnittstelle(nbelegung) vom jeweiligen Projekt abhängig ist und somit nicht der Bauartzulassung unterliegen kann. Somit bleibt unklar, wie und durch wen die konkrete Ausführung dieser (Software) Schnittstelle geprüft wird.
2. Regelmäßige Prüfung
Rz. 231
Da, wie durch die PTB festgelegt, die WVZ-Anlage und deren Schnittstelle nicht Gegenstand von Gerätezulassung und Eichung ist, bleibt auch vollkommen im Unklaren, ob und durch wen hier eine regelmäßige Prüfung stattfindet. Eine regelmäßige Wartung durch den Hersteller kann hier in keinem Fall adäquat sein, da ein Hersteller oder ein Servicebetrieb völlig andere Prioritäten hat (und auch haben muss) als z.B. ein Eichamt. Die regelmäßige Prüfung der Fahrzeugsicherheit wird eben auch gerade nicht den Werkstätten überlassen, sondern dafür sind, aus gutem Grund, Organisationen wie z.B. TÜV, Dekra usw. zuständig.
Rz. 232
Zusammenfassend ist zu diesen Punkten zu sagen, dass es hier aus technischer Sicht dringend geboten ist ein zweigeteiltes Prüfverfahren, wie bei Messgeräten, durchzuführen. Selbstverständlich müssten dann auch alle Grundlagen dieser Prüfung offengelegt werden. Und ebenso selbstverständlich wären dann nach der Zulassungsprüfung durchgeführte Soft- oder Hardwareänderungen nicht mehr zulässig bzw. würden eine erneute Zulassungsprüfung nach sich ziehen.
Rz. 233
Ein weiteres sehr wichtiges Problemfeld ist die Datensicherheit.
Rz. 234
Die PTB schreibt in Kapitel 3.4 der PTB-Anforderungen (PTB-A 18.11) vor:
Zitat
"Vom Gerät sind die Bildauslösungsgrenzwerte und die für die Stellzustände des Anzeigequerschnittes (ggf. auch die Stellzustände des zweiten Anzeigequerschnittes) mit Zeitstempeln in Dateien zu protokollieren."
Eine inhaltlich identische, lediglich anders formulierte Anforderung findet sich in den PTB-A12.01, und neu in den PTB-A 12.12.
Rz. 235
Diese Protokollierung geschieht bis dato in Form von z.B. bei Traffistar, S 330, 2 Klartextdateien ohne jeglichen Schutz in Form von Checksummen, Hashwerten oder Ähnlichem. Zu den Möglichkeiten des Schutzes sei auf die sehr ausführlichen Grundlagenkapitel zu diesen Problemfeldern hier im Buch verwiesen (Rdn 276 ff.).
Rz. 236
Heute stellt sich die Lage so dar, dass die dem Gutachter übergebenen Dateien keinerlei Schutz gegen Manipulation bieten und mit jeder handelsüblichen Textverarbeitung oder einem Editor (im Lieferumfang von Windows enthalten) manipuliert oder gleich komplett selbst erzeugt werden können.
Rz. 237
Bei Durchsicht solcher Protokolle ergeben sich auch immer wieder Hinweise, die für ein nicht ordnungsgemäßes Arbeiten der WVZ-Anlagen sprechen. Z.B. kam es bei Anlagen in Helmstedt zu völlig abwegigen Schaltzuständen, bei denen nachts um 2:00 Uhr ein niedriges Tempolimit wegen Stau geschaltet wurde. Auf der Fotografie eines Betroffenen war ...