Julian Backes, Sven Eichler
Rz. 1410
Durch Einführung immer genauerer Messverfahren sind auch die Abweichungen im Messbetrieb durch besondere Umstände immer öfter näher zu untersuchen. In der Videonachfahrtechnik ist daher ein weiteres Problem beim Messen durch Nachfahren zu diskutieren – die Schräglage des Messfahrzeuges im Fall, dass die Messung mit einem Polizeimotorrad durchgeführt und die Messung – zumindest teilweise – im Kurvenbereich erfolgt.
Rz. 1411
Die Eichung von Fahrzeugen mit Videonachfahrsystemen erfolgt grundsätzlich in zwei Teilen:
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Zum einen erfolgt die Prüfung der Zeitmesseinheit. |
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Zum anderen ist die Wegstreckenmessung über den Reifenabrollumfang zu prüfen. |
Bei der Eichung erfolgt die Prüfung der Wegstreckenmessung dabei grundsätzlich am senkrecht stehenden Reifen. Während dies beim flachen Pkw-Reifen keine Rolle spielt, erfolgt bei einem Motorradreifen, welcher immer – mehr oder weniger – gewölbt ist, die Eichung damit in der Reifenmitte.
Abbildung 28: zeigt exemplarisch die Reifenwölbung und unterschiedliche Radien; eigene Darstellung
Wie in Abbildung 28 deutlich zu erkennen, stellt die Reifenmitte den größten Reifendurchmesser dar, während sich der Durchmesser zu den Reifenflanken hin deutlich verringert.
Die Eichung erfolgt damit mit dem maximalen Durchmesser, womit durch diese Art der Eichung für eine Radumdrehung die größtmögliche zurück gelegte Wegstrecke zugrunde gelegt wird.
Rz. 1412
Bei Fahrten in Schräglage verändert sich selbstverständlich die Inanspruchnahme der Reifenoberfläche hin zu den Reifenflanken. Dadurch verkleinert sich der Radius der Reifenaufstandspunkte u.U. erheblich.
Die Verkleinerung des Radius führt zwangsläufig zu einem geringeren Abrollumfang des Reifens und bedingt insofern bei gleicher Geschwindigkeit eine Erhöhung der Radumdrehungen.
Rz. 1413
Da die Geschwindigkeit des Motorrades wiederum über die Anzahl der Radumdrehungen ermittelt wird, führt dieses Phänomen zwangsläufig zu einer Erhöhung der angezeigten Geschwindigkeit.
Rz. 1414
Das Ausmaß dieser zu hoch angezeigten Geschwindigkeit hängt dabei von zahlreichen Faktoren an Messfahrzeug und Bewegungsablauf ab:
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Reifenform |
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Reifendimension |
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Anteil der Schrägfahrtstrecke an der Gesamtmessstrecke |
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Ausprägung der Schrägfahrt (Schräglaufkoeffizient) |
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Schlupf |
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Luftdruck und Beladung |
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Reifentemperatur und -alter |
u.a. m.
Rz. 1415
Die nachfolgenden Bilder dokumentieren eine solche Aufnahme in Schrägfahrt. Schon in den Einzelbildern – und besser noch im Originalvideo – ist die Schrägfahrt deutlich zu erkennen.
Abbildung 29: Beginn der Messstrecke
Abbildung 30: Ende der Messstrecke
Seitens der PTB wurden zwischenzeitlich Versuche zu Schrägfahrten mit Motorrädern durchgeführt, um die Einflussmöglichkeiten einer Schrägfahrt auf das Messergebnis beurteilen zu können. Weiterhin wurde ein theoretischer Lösungsansatz beschrieben, welcher bislang allerdings offenbar nicht in die Tat umgesetzt wurde.
Die Abweichungen bei einer Schräglage mit einem Motorrad wurden im Rahmen der Untersuchung der PTB wie folgt festgestellt:
Abbildung 31: Messergebnisse bei der Untersuchung der PTB, Quelle: pvt04–12
Hinweis
Die Untersuchung der PTB zeigt, dass bei einem Rollwinkel von 30 bis 35 Grad bereits Messfehler auftreten, die außerhalb der Verkehrsfehlergrenze liegen.
Daher ist zu empfehlen, solche Messungen nicht zu verwerten.
Die tatsächliche Fehlergröße lässt sich nur sehr aufwändig durch eine Rekonstruktion des gesamten Fahrablaufes auf der tatsächlichen Messstrecke und unter den Messbedingungen ermitteln.
Die PTB hat diesbezüglich mit Inkrafttreten der 1. Neufassung der Anlage zur Bauartzulassung vom 3.6.2010 festgelegt, dass Messungen, "bei denen im Video keine offensichtliche Schräglage erkennbar ist" (Hervorhebung nachträglich eingefügt), ausgewertet werden dürfen.
Die Praxis zeigt auch hier allerdings, dass diese Vorgabe nicht beim gesamten Messpersonal bekannt ist bzw. gewürdigt wird.