Rz. 1416

Dem Juristen kann und soll an dieser Stelle lediglich eine technische Hilfestellung an die Hand gegeben werden, welche Kriterien (zur Erfüllung des Tatbestands) im Sinne des § 315d StGB zu prüfen sind.

 

Rz. 1417

Der Tatvorwurf kann sich dabei sowohl auf die "klassische" Rennsituation mit mindestens zwei Fahrzeugen als auch auf das Fahrverhalten eines einzelnen Verkehrsteilnehmers erstrecken.

 

Rz. 1418

Bei einer Situation mit zwei Fahrzeugen sind "renntypische" Merkmale üblicherweise:

durch Überholen nach der ersten Position zu streben,
im Rahmen einer Parallelfahrt durch Vergleich der Beschleunigung bzw. der erreichbaren Höchst-/Maximalgeschwindigkeit ein "Sieger" bzw. das leistungsfähigere Fahrzeug zu ermitteln oder
über eine festgelegte Wegstrecke die bestmögliche "Rundenzeit" zu erzielen.
 

Rz. 1419

Richtet sich der Tatvorwurf gegen nur einen Teilnehmer, so ist die Beweisführung weitaus schwieriger. Hier gilt es z.B. nachzuweisen, dass das Tatfahrzeug versucht hat,

eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen oder
einen Streckenabschnitt in möglichst geringer Zeit zu durchfahren.
 

Rz. 1420

Die Erfüllung des Tatbestands setzt für gewöhnlich voraus, dass sich das Fahrverhalten des Tatfahrzeugs deutlich von dem der anderen Verkehrsteilnehmer unterscheidet und insbesondere verkehrstypische Handlungen (Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers, ordnungsgemäßes Überholverhalten, sonstige Vermeidung unnötiger Gefahren) vermissen lässt.

 

Rz. 1421

Hier stellt sich die Frage, wie eine solche Beweisführung auszusehen hat.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Bußgeldkatalog für Überschreitungen von mehr als 70 km/h bereits Regelsanktionen vorsieht. Die bloße Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, und sei sie noch so gravierend, stellt daher zunächst nicht automatisch ein Merkmal für ein "Rennen" darstellt.

Der BGH[78] führt in seinem Urt. v. 24.6.2021 zu diesem Aspekt u.a. aus:

Zitat

Neben den einschränkenden Merkmalen der groben Verkehrswidrigkeit und Rücksichtslosigkeit kommt nach den Intentionen des Gesetzgebers (vgl. Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz [6. Ausschuss], BT-Drucks 18/12964, S. 6) gerade dem Absichtselement die Aufgabe zu, den für das Nachstellen eines Rennens mit einem Kraftfahrzeug kennzeichnenden Renncharakter tatbestandlich umzusetzen und das nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB strafbare Verhalten von den alltäglich vorkommenden, auch erheblichen Geschwindigkeitsverletzungen abzugrenzen.

 

Rz. 1422

Zu beachten ist weiter, wie etwa eine maximale Beschleunigung oder eine höchst mögliche Geschwindigkeit definiert werden soll, da diese von einer Vielzahl von weiteren Rahmenbedingungen (Witterungs- und Streckenverhältnisse, Fahrzeugattribute, Fahrereigenschaften, etc.) abhängt. So entspricht die maximale Beschleunigung eines schwach motorisierten Fahrzeuges u.U. nur einem Bruchteil der Beschleunigung eines höher motorisierten Fahrzeuges. Ebenso kann sich die höchst mögliche Geschwindigkeit einerseits auf die Fahrzeugeigenschaften (Motorleistung, Fahrwerk) und anderseits auf die momentanen Streckenverhältnisse (nasse Fahrbahn und Kurvenverlauf) beziehen.

 

Rz. 1423

Nicht zuletzt ist unstrittig, dass das allgemeine Fahrverhalten auch von persönlichen Faktoren (wie etwa Alter, Zeitdruck oder Erfahrungswerten) abhängig ist.

 

Rz. 1424

Im Zweifel fußt der Tatvorwurf somit auf der subjektiven Wahrnehmung des Messpersonals, das sein "persönliches Empfinden" in die Bewertung einfließen lässt. Derselbe Vorgang kann vor diesem Hintergrund zu völlig abweichenden Ergebnissen bei der Bemessung des Fahrablaufs führen.

 

Rz. 1425

Um einer mitunter vorherrschenden "Meinung" des Messpersonals sachliche Argumente entgegen bringen zu können, ist die Verteidigung also auf eine detaillierte Darlegung des damaligen Fahrverhaltens sowie eine sachverständige Wertung hinsichtlich des tatsächlich abgerufenen Potentials des Tatfahrzeugs angewiesen.

 

Rz. 1426

Beide Aspekte werden vom BGH[79] wie folgt konkretisiert:

Zitat

"Nicht ausreichend ist, dass es dem Täter auf das Erreichen einer "möglichst hohen" Geschwindigkeit ankommt, die je nach den Vorstellungen und sonstigen Zielen des Täters auch unterhalb der nach den konkreten Gegebenheiten maximal erreichbaren Geschwindigkeit liegen kann (insoweit missverständlich Fischer, StGB, 68. Aufl., § 315d Rn 17, Pegel in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 315d Rn 26). Erforderlich ist vielmehr, dass der Täter nach seinen Vorstellungen die situativ mögliche Höchstgeschwindigkeit anstrebt."

Da der Gesetzgeber mit dem Absichtserfordernis dem für das Nachstellen eines Rennens kennzeichnenden Renncharakter Ausdruck verleihen wollte, ist für das Absichtsmerkmal weiterhin zu verlangen, dass sich die Zielsetzung des Täters nach seinen Vorstellungen auf eine unter Verkehrssicherheitsgesichtspunkten nicht ganz unerhebliche Wegstrecke bezieht (vgl. BGH, Beschl. v. 17.2.2021 – 4 StR 225/20 Rn 15) und sich nicht nur in der Bewältigung eines räumlich eng umgrenzten Verkehrsvorgangs erschö...

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