Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 26
Jeder Partei ist es unbenommen, bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung gänzlich Neues vorzutragen. Niemand kann sie daran hindern, weder der Gegner noch das Gericht. Werden die Ausführungen zu ausufernd, kann das Gericht die Verhandlung vertagen, § 227 Abs. 1 ZPO; aber es kann der Partei nicht – etwa unter Berufung auf § 132 ZPO – das Wort entziehen. Denn nach dieser Bestimmung sollen zwar Schriftsätze, die neues Vorbringen enthalten, so rechtzeitig eingereicht werden, dass sie noch mindestens eine Woche vor dem Termin dem Gegner zugestellt werden können. Aber diese Bestimmung ist im Ergebnis lediglich eine Sollvorschrift, deren Verletzung allein nicht dazu führen kann, dass der Inhalt eines kurz vor dem Termin überreichten Schriftsatzes unbeachtet bliebe, da nicht einmal im Termin erstmalig, und zwar lediglich mündlich Vorgetragenes unberücksichtigt bleiben darf. Man wird aber verlangen können, dass die Partei kurz vor dem oder im Termin überreichte Schriftsätze in der Verhandlung mündlich in den Rechtsstreit einführen muss, weil man daran zweifeln kann, dass Schriftsätze, die nicht in der Frist des § 132 ZPO eingereicht sind, noch vorbereitende Schriftsätze i.S.d. §§ 130 ff. sind.
Hat also der Anwalt, mit seinem Mandanten vor dem Sitzungssaal wartend, überraschend ganz neue Informationen bekommen, ist er nicht gehindert, sie gleich anschließend dem Gericht mündlich vorzutragen. Der Gegner kann das nicht verhindern. Er muss vielmehr mit neuem Vorbringen immer rechnen; um in der Lage zu sein, darauf angemessen zu reagieren, sollte die mündliche Verhandlung von einem Anwalt schon aus diesem Grunde ernst genommen werden und jemand mit der Terminswahrnehmung betraut werden, der Sachkenntnis hat und deshalb kompetent verhandeln kann.
OLG Brandenburg NJW-RR 1998, 498:
Zitat
Erfolgt ein Bestreiten erstmals – verspätet – in der mündlichen Verhandlung, so kann eine klagabweisende Entscheidung nicht ohne Gewährung eines von der klagenden Partei beantragten Schriftsatznachlasses darauf gestützt werden, die Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens insoweit führe nicht zu einer Verzögerung, weil die klagende Partei ihrerseits keinen Beweis angetreten habe.
Eine Verzögerung kann begrifflich erst dann eintreten, wenn das neue Vorbringen streitig ist; unstreitiges Vorbringen erlaubt dagegen eine sofortige Entscheidung. Die Frage der Verzögerung kann damit erst nach der Erwiderung des Gegners beurteilt werden. Die Verzögerung, die der Rechtsstreit durch eine Frist nach § 283 ZPO erleidet, rechtfertigt eine Zurückweisung in keinem Fall.