Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 45
Prozessuale Schwierigkeiten ergeben sich für einen Kläger, wenn im Zeitpunkt der Klageerhebung noch ungewiss ist, wie die zukünftige Schadensentwicklung (z.B. aufgrund eines noch abzuwartenden Krankheitsverlaufs) voraussichtlich sein wird. Denn generell wird in das vom Gericht festzusetzende Schmerzensgeld die gesamte künftige Entwicklung einbezogen, soweit sie schon jetzt hinreichend sicher beurteilt werden kann.
BGH r+s 2018, 678:
Zitat
Verlangt der Geschädigte für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den Klageantrag nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes alle diejenigen Schadensfolgen erfasst, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte.
Die Frage ist, ob ein Kläger ein zeitlich begrenztes Teilschmerzensgeld geltend machen kann, wenn die künftige Entwicklung noch ungewiss ist. Die Rspr. lässt nur für den Fall eine auf ein Teilschmerzensgeld gerichtete Klage zu, wenn sich die künftige Entwicklung noch nicht überschauen und das insgesamt angemessene Schmerzensgeld sich noch nicht endgültig beurteilen lässt.
BGH r+s 2004, 216:
Zitat
Eine offene Schmerzensgeld-Teilklage ist zulässig, wenn erkennbar und hinreichend individualisierbar ist, um welchen Teil des Gesamtanspruchs es sich handelt.
Die Geltendmachung von Teilschmerzensgeld kritischer gesehen hat zuvor das OLG Hamm r+s 2000, 326, 327:
Zitat
Die Geltendmachung eines zeitlich begrenzten Teilschmerzensgeldes (zeitlich begrenzt auf einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum oder auf den Schluss der mündlichen Verhandlung) ist auch dann unzulässig, wenn die zukünftige Entwicklung noch ungewiss ist. Durch ein zeitlich unbegrenztes Teilschmerzensgeld wird die schon jetzt überschaubare Entwicklung einschließlich der schon jetzt begründeten Sorge vor möglichen weiteren Unfallfolgen mitumfasst. Nicht abgegolten wird die Verwirklichung schon jetzt erkennbarer, aber noch offener Risiken; hierfür besteht die Möglichkeit der Feststellungsklage.
Im Einzelfall sollte deswegen geprüft werden, ob überhaupt der Weg einer Teilklage bestritten werden muss oder ob dem Geschädigten mit einem Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden nicht besser geholfen ist.
BGH r+s 2004, 216:
Zitat
So hat er für den Fall, dass mit dem Eintritt weiterer Schäden zu rechnen ist, die letztlich noch nicht absehbar sind, das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse für die Feststellung der Ersatzpflicht zukünftiger immaterieller Schäden bejaht, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung Grund besteht, mit dem Eintritt eines weiteren Schadens wenigstens zu rechnen (…). Auch im Falle eines solchen Feststellungsantrages bleibt offen, wie hoch der Schmerzensgeldanspruch letztendlich sein wird, und wird der zu zahlende Betrag nach den gegenwärtigen Umständen und unter Außerachtlassung der noch nicht absehbaren Folgen in gewisser Weise vorläufig als Teilbetrag festgesetzt. Im Hinblick darauf hätte es der offenen Teilklage nicht bedurft. Der Kl. hätte sich auch durch einen Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht des Bekl. für zukünftige immaterielle Schäden seinen Anspruch sichern können.
3. Andererseits bestehen gegen die Zulässigkeit einer Teilklage, wie sie hier vorliegt, keine rechtlichen Bedenken. Eine offene Schmerzensgeld-Teilklage ist zulässig, wenn erkennbar und hinreichend individualisierbar ist, um welchen Teil des Gesamtanspruchs es sich handelt.
Das OLG Köln gewährt für etwaige Spätschäden einen Risikozuschlag; ablehnend Lemcke; zustimmend v. Gerlach, der sich aber zu Recht dagegen wendet, dass das OLG Köln von einer regelmäßigen Pauschale von 25 % ausgeht. Im Ergebnis ist die Entscheidung des OLG Köln abzulehnen: Diese pauschalisierte Betrachtung widerspricht dem Grundsatz, dass in jedem Einzelfall eine individuelle Prüfung des eingetretenen Schadens stattfindet. Will der Geschädigte künftige Entwicklungen berücksichtigen, muss er Teilklage mit Blick auf das geforderte Teilschmerzensgeld oder eine Feststellungsklage erheben.