Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 19
Im Unterschied zum Geständnis i.S.d. § 288 ZPO tritt die Fiktion des Zugestehens nach § 138 Abs. 3 ZPO bereits dann ein, wenn ein Vorbringen lediglich nicht bestritten wird. Darin äußert sich deutlich die Herrschaft der Parteien im Zivilprozess. Das Gericht hat nicht zu fragen, ob eine Parteibehauptung wahr ist, solange sie nicht bestritten ist. Ein nicht bestrittenes Vorbringen kann auch nicht verspätet im Sinne der Präklusionsvorschriften sein, vgl. § 4 Rdn 1 ff.
Rz. 20
Während sich eine Partei von ihrem Geständnis nach § 288 ZPO praktisch kaum noch lösen kann, kann sie die Fiktion des Zugestehens nach § 138 Abs. 3 ZPO jederzeit dadurch wieder aufheben, dass sie nunmehr das Vorbringen des Gegners bestreitet. Ihre jetzige Einlassung kann allenfalls als verspätet gewertet werden und aus diesem Grunde unberücksichtigt bleiben, aber nicht schon deshalb, weil das Vorbringen des Gegners zunächst als zugestanden galt.
Außerdem kann das Gericht in seine Beweiswürdigung einbeziehen, dass ein Vorbringen zunächst unstreitig war und erst bestritten worden ist, nachdem dem Gegner seine Bedeutung bewusst geworden war.
Rz. 21
Dass der nicht bestrittene Vortrag im erstinstanzlichen Urteil als unstreitiger Sachverhalt erscheint und dem Tatbestand Beurkundungsfunktion zukommt, kann den Kläger daran hindern, den Vortrag des Gegners in der Berufungsinstanz zu bestreiten.
BGH NJW 2010, 376:
Zitat
Die Berufung hat durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001 (BGBl I, 1887) einen Funktionswechsel erfahren. Sie ist nicht mehr vollwertige zweite Tatsacheninstanz, sondern dient in erster Linie der Überprüfung des erstinstanzlichen Urteils auf korrekte Anwendung des materiellen Rechts sowie auf Richtigkeit und Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen und Beseitigung etwaiger Fehler. Die Reform hat zur Folge, dass sich die Rekonstruktion des entscheidungserheblichen Sachverhalts noch mehr auf die erste Instanz konzentriert. Die Konzentration der Tatsachenfeststellungen in erster Instanz wird dadurch bewirkt, dass das Berufungsgericht grundsätzlich an die fehlerfrei gewonnenen Erkenntnisse der ersten Instanz gebunden wird und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur zuzulassen sind, soweit dies durch besondere Gründe gerechtfertigt ist.
Die Beweiskraft des Tatbestandes nach § 314 ZPO beschränkt sich insoweit auf die Feststellung, dass der Vortrag des Gegners in der ersten Instanz nicht bestritten war. Wer das nicht gegen sich gelten lassen will, weil er in Wahrheit das Vorbringen des Gegners doch schriftsätzlich oder auch nur mündlich in der Verhandlung bestritten hatte, dies auch im Sitzungsprotokoll festgehalten ist und das Gericht sein Bestreiten lediglich übersehen hat, muss die Berichtigung des Tatbestandes nach § 320 ZPO beantragen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Zulassung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel in der Berufungsinstanz durch § 531 ZPO erheblich eingeschränkt ist.
Nicht nur nicht bestrittenes, sondern auch unsubstantiiert bestrittenes Vorbringen gilt als zugestanden nach § 138 Abs. 3 ZPO, schlüssig muss der nach § 138 Abs. 3 ZPO zugestandene Sachvortrag allerdings sein vgl. § 2 Rdn 53 ff.
Die Geständniswirkung des § 138 Abs. 3 ZPO tritt nicht ein, wenn die Unrichtigkeit der zugestandenen Behauptung – zum Beispiel bei offenkundiger Unrichtigkeit einer (nicht bestrittenen) Behauptung – feststeht.