Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 51
Vom Haupt- und Hilfsantrag sind das Haupt- und Hilfsvorbringen zu unterscheiden. Hier stellt der Kläger nur einen Antrag, stützt diesen aber auf verschiedene Sachverhalte. Hinsichtlich dieser Sachverhalte muss er festlegen, auf welchen er seine Klage vorrangig stützt. Unterlässt er das, ist seine Klage unzulässig. Der Kläger darf in diesem Fall dem Gericht mithin nicht die Auswahl überlassen, auf welchen Klagegrund es die Verurteilung stützt, ansonsten liegt ein Verstoß gegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vor. Hat der Kläger mehrere Klagegründe im Wege einer alternativen Klagehäufung verfolgt, kann er die gebotene Bestimmung der Reihenfolge, in der er die prozessualen Ansprüche geltend machen will, noch in der Berufungs- oder der Revisionsinstanz nachholen. Nimmt der Kläger die Bestimmung erst in der Revisionsinstanz vor, kann der auch im Prozessrecht geltende Grundsatz von Treu und Glauben den Kläger in der Wahl der Reihenfolge in der Weise beschränken, dass er zunächst die vom Berufungsgericht behandelten Streitgegenstände zur Entscheidung des Revisionsgerichts stellen muss.
Ebenso wie bei Haupt- und Hilfsantrag ist das Gericht an die ihm vorgegebene Reihenfolge gebunden. Selbst wenn das Hilfsvorbringen ohne weitere Ermittlungen zum Erfolg führen würde, muss das Gericht zunächst über das Hauptvorbringen entscheiden, gegebenenfalls nach Beweiserhebung. Denn wenn das Gericht dem Klageantrag schon auf das Hauptvorbringen hin entsprochen hat, ist das Hilfsvorbringen gleichsam unverbraucht, so dass darauf eine neue Klage gestützt werden könnte, ohne dass dem die Rechtskraft des vorausgegangenen Rechtsstreits entgegenstehen könnte.
Rz. 52
Unzulässig ist eine Klage, mit der der Kläger Schadensersatzansprüche aus verschiedenen Verträgen in einer bestimmten Reihenfolge erhebt, und dabei erklärt, dass das Gericht über die nachrangig erhobenen Ansprüche entscheiden solle, wenn für die vorrangig erhobenen Ansprüche nach Auffassung des Gerichts eine Beweisaufnahme erforderlich sei, vgl. Rdn 49.
Rz. 53
Ein Kläger kann seinen Antrag hilfsweise auf das Vorbringen des Beklagten stützen, wenn er der Meinung ist, dass dieses Vorbringen gleichermaßen geeignet ist, seinen Klageanspruch zu begründen. Das ist z.B. der Fall, wenn der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch aus Vertrag geltend macht und dieser zwar einen Vertragsabschluss bestreitet, aber seinerseits einen Sachverhalt vorträgt, der geeignet ist, einen Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nach § 683 BGB zu rechtfertigen.
Oder im Falle des OLG Köln, in dem die Beklagte von einem Arzt gemäß § 611 BGB wegen der Behandlung ihres Ehemannes in Anspruch genommen wird, diese einen Vertragsabschluss bestreitet, nach ihrer eigenen Einlassung aber aus § 1357 BGB (Schlüsselgewalt) haftet. Der Kläger muss sich diese Einlassung des Beklagten aber ausdrücklich – zumindest hilfsweise – zu eigen machen.
Denn nach der jetzigen Rspr. des BGH zu der lange umstrittenen Lehre vom gleichwertigen oder äquipollenten Parteivorbringen kann das Gericht seine Entscheidung nicht von Amts wegen zugunsten des Klägers auf das Vorbringen des Beklagten stützen, sondern muss sich den Vortrag des Gegners zumindest hilfsweise zu eigen machen.
BGH NJW-RR 1994, 1405:
Zitat
Ergibt das Vorbringen des Bekl. aufgrund eines anderen als des von dem Kl. vorgetragenen Sachverhalts die Schlüssigkeit des Klagebegehrens, so verhilft dies der Klage nur dann zum Erfolg, wenn sich der Kl. das zu seinem Sachvortrag in Widerspruch stehende Vorbringen des Bekl. wenigstens hilfsweise zu eigen macht und seine Klage (auch) hierauf stützt […].
Rz. 54
Während das Gericht ein in sich widersprüchliches Vorbringen nicht zur Grundlage seiner Entscheidung machen kann, steht die Widersprüchlichkeit der Begründetheit des Klageanspruches nicht entgegen, wenn sich Hauptvorbringen und Hilfsvorbringen widersprechen. Voraussetzung ist aber, dass das Hilfsvorbringen auf der Einlassung des Beklagten fußt.
Der Kläger kann also nicht den Sachverhalt "a" und hilfsweise den Sachverhalt "non a" behaupten. Wohl aber kann er sich den vom Beklagten behaupteten Sachverhalt zu eigen machen und gleichwohl daran festhalten, dass der von ihm in erster Linie behauptete allein der Wahrheit entspricht. Er verstößt mit einem solchen Vorbringen nicht gegen seine Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO, vgl. § 2 Rdn 19 ff.