Rz. 49
In der rechtsberatenden Praxis erlebt man es immer wieder, dass – auch etliche Jahre nach dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes zum 1.1.2002 und dem damit einhergehenden Wegfall der früheren Bereichsausnahme für das Arbeitsrecht – Arbeitsleistungen auf Grundlage von Verträgen erbracht werden, die schon seit Langem nicht mehr den rechtlichen Anforderungen genügen. Konfrontiert man die für die Pflege der Verträge verantwortlichen Arbeitgeber bzw. die häufig letztverantwortlichen Personalabteilungen mit diesem Umstand, wird oft entschuldigend darauf verwiesen, dass es praktisch ausgesprochen schwierig ist, einen einmal geschlossenen Arbeitsvertrag inhaltlich zu verändern, um ihn z.B. an den aktuellen Stand der Rechtsprechung zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen anzupassen.
Dem ist (in Teilen) leider zustimmen: Ein Arbeitnehmer wird den Wunsch seines Arbeitgebers nach einer Anpassung des Vertrags an zwischenzeitlich geänderte rechtliche Rahmenbedingungen zumeist schon deshalb ablehnen, weil sich die Unwirksamkeit einzelner Vertragsbedingungen häufig zu seinen Gunsten auswirkt. So hat z.B. ein Arbeitnehmer sicher wenig Interesse daran, dass ein bisher im Vertrag enthaltener, unwirksamer Widerrufsvorbehalt durch eine rechtmäßige, den Anforderungen der neueren Rechtsprechung entsprechende Regelung ersetzt wird, die dem Arbeitgeber künftig den Widerruf einer vertraglichen Leistung in rechtskonformer Weise ermöglichen würde. Auch bei Regelungen, deren Unwirksamkeit auf den ersten Blick beide Vertragsparteien tangiert, ist es häufig allein der Arbeitgeber in seiner Rolle als Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, der ein Interesse an einer Aktualisierung der vertraglichen Abreden hat: Entspricht etwa die vertragliche Regelung einer Ausschlussfrist nicht mehr den Anforderungen der Rechtsprechung, so trifft dies zunächst vor allem den Arbeitgeber, weil er sich ggf. – bis zur Grenze der Verjährung – einer nicht zeitlich beschränkten Inanspruchnahme durch den Arbeitnehmer ausgesetzt sieht. Will dagegen der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer aus länger zurückliegenden Vorgängen in Anspruch nehmen, so kann er sich diesem gegenüber als Verwender der Allgemeinen Geschäftsbedingung gerade nicht auf deren Unwirksamkeit berufen, weil die gesetzlich vorgesehene Inhaltskontrolle den Klauselverwender nicht vor sich selbst bzw. vor der Unwirksamkeit der von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen schützt. Der Arbeitgeber als Verwender bleibt im Grundsatz an die rechtsunwirksame Ausschlussfrist gebunden.
Rz. 50
Ist damit der Arbeitnehmer in der Regel nicht gewillt, anlasslos einer Aktualisierung seines Arbeitsvertrags zuzustimmen, so kommt als Mittel zur einseitigen Anpassung des Vertrags an geänderte rechtliche Rahmenbedingungen vor allem das Mittel der Änderungskündigung in Betracht. Allerdings erweist sich die Änderungskündigung in diesem Zusammenhang bei näherem Hinsehen mindestens als extrem steiniger Weg, wenn nicht gar als aussichtslos: Neben dem an den Arbeitnehmer gerichteten Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses beinhaltet die Änderungskündigung als weiteres Element nämlich eben vor allem auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hierbei handelt es sich um eine "echte" Kündigung, die zunächst allen formalen Anforderungen unterliegt, die an die Wirksamkeit einer Kündigung zu stellen sind. Der Arbeitnehmer kann diese Kündigung einer gerichtlichen Prüfung zuführen, indem er dem Änderungsangebot vorbehaltlos widerspricht und Kündigungsschutzklage erhebt oder aber die von § 2 KSchG gebotene Möglichkeit in Anspruch nimmt, das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung anzunehmen und eine sog. Änderungsschutzklage zu erheben. Die Anforderungen der Rechtsprechung an die soziale Rechtfertigung einer Änderungskündigung sind hoch. Zielt die Änderungskündigung darauf ab, den Arbeitsvertrag in mehreren Punkten zu ändern, so muss zudem jede einzelne Änderung sozial gerechtfertigt sein. Erscheint auch nur eine der angestrebten Änderungen als nicht sozial gerechtfertigt, so kann dies die Unwirksamkeit der gesamten Änderungskündigung nach sich ziehen.
Gerade dann, wenn eine Mehrzahl von Vertragsbedingungen in einer Vielzahl von Fällen angepasst werden soll, erscheint die Änderungskündigung vor diesem Hintergrund nicht als praxistaugliches Mittel, da die Darlegung der sozialen Rechtfertigung sämtlicher angestrebter Vertragsänderungen kaum je gelingen wird. Hinzu kommt, dass eine Massenänderungskündigung für eine nicht unerhebliche Unruhe in der Belegschaft sorgen kann und eventuell gerichtliche Auseinandersetzungen mit den eigenen Arbeitnehmern nach sich ziehen wird, was ein besonnener Arbeitgeber wohl in der Regel wird vermeiden wollen.
Rz. 51
Umso wichtiger erscheint es, jegliche sich im laufenden Arbeitsverhältnis ergebende Chance für eine einvernehmliche Anpassung des Vertrags an die aktuellen rechtlichen Gegebenheiten zu ...