Rz. 4
In der Situation des "freien" Dienstvertrags verpflichtet sich der Dienstnehmer ebenso wie der Arbeitnehmer zur Erbringung vertraglich näher definierter Leistungen gegen Zahlung einer Vergütung (§ 611 BGB). Gerade unter dem Aspekt einer möglichen Scheinselbstständigkeit stellt sich daher praktisch nicht selten die Frage der Abgrenzung zwischen Arbeits- und freiem Dienstverhältnis. In den insoweit problematischen Fällen geht es in aller Regel um Verträge zwischen Unternehmen und jedenfalls vermeintlich selbstständig tätigen Einzelpersonen, die dann in eigener Person zur Erfüllung der dienstvertraglichen Pflichten tätig werden. Eine rechtliche Einordnung kann hier schwierig sein, ist jedoch vor dem Hintergrund der sehr unterschiedlichen Rechtsfolgen im Bereich des Arbeits- bzw. Dienstvertragsrechts und vor allem auch des Steuer- und Sozialversicherungsrechts unerlässlich.
1. Charakteristische Merkmale des Arbeitsverhältnisses
Rz. 5
Vom Arbeitsverhältnis als Unterform des Dienstverhältnisses unterscheidet sich das "freie" Dienstverhältnis – häufig auch als "freie Mitarbeit" bezeichnet – durch einen geringeren Grad persönlicher (nicht notwendigerweise auch wirtschaftlicher) Abhängigkeit.
Unter einem Arbeitnehmer verstand schon die bisherige Rechtsprechung denjenigen, der aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Charakteristisch für die abhängige Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis sollte insbesondere die Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und die damit verbundene Weisungsunterworfenheit hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit sein. Selbstständig sollte dagegen nach bisherigem Verständnis in Anlehnung an die Wertung der für Handelsvertreter geschaffenen Bestimmung des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB derjenige sein, der im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann.
Rz. 6
Nach dem inzwischen zum 1.4.2017 durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze neu eingefügten § 611a BGB, der ausweislich der Gesetzesbegründung als "1:1 Kodifizierung" der bisherigen Rechtsprechung gedacht ist, zeichnet sich der Arbeitsvertrag ebenfalls dadurch aus, dass der Arbeitnehmer durch ihn "im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet" wird. Maßgeblich ist am Ende – wie im Übrigen auch schon bisher – eine Gesamtbetrachtung aller Umstände.
2. Direktionsrecht des Arbeitgebers
Rz. 7
Ein wesentliches Indiz für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses stellt es damit nach wie vor dar, wenn der die Dienstleistung Erbringende engen Weisungen hinsichtlich Inhalt, konkreter Durchführung, Zeit und Ort unterliegt (§ 611a Abs. 1 S. 2 und S. 3 BGB). Während es für einen Selbstständigen prägend ist, dass er im Grundsatz (selbstverständlich ebenfalls unter Berücksichtigung der Wünsche seiner Dienstgeber) selbst darüber entscheiden kann, wann, wo und wie genau er seine Leistung erbringt, unterliegt der Arbeitnehmer insoweit einem umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers, der diese Fragen durch Ausübung seines Direktionsrechts beantworten kann und darf. Ein gewisses Maß an Weisungsabhängigkeit ist zwar auch dem freien Dienstvertrag und im Übrigen auch dem Werkvertrag, dem Auftrag oder dem Geschäftsbesorgungsvertrag nicht fremd (vgl. §§ 645 Abs. 1, 665, 675 BGB). Der Arbeitnehmer unterliegt insoweit jedoch engeren Grenzen; seine Gestaltungsspielräume hinsichtlich Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Leistung sind typischerweise sehr begrenzt.
Rz. 8
Festzustellen ist allerdings, dass ein Abstellen auf den Grad des Bestehens von Weisungsrechten nicht immer zu klaren Ergebnissen führt: So ist z.B. auch eine selbstständige Reinigungskraft, die mit der Reinigung von Büroräumlichkeiten beauftragt ist, weder in der Gestaltung des Inhalts der Leistung noch in der Wahl des Orts oder des Zeitpunkts der Leistungserbringung frei: Die inhaltlich im Kern vorgegebene Reinigungsleistung ist naturgemäß in den Büroräumlichkeiten zu erbringen und wird in aller Regel nur zu einem Zeitpunkt sinnvoll erbringbar sein, in dem der übliche Geschäftsbetrieb des Büros ruht, so dass u.U. auch enge faktische Vorgaben zum Zeitpunkt der Leistungserbringung bestehen.
Rz. 9
Betrachtet man die Abgrenzungsfrage aus der Perspektive des Arbeitsrech...