Rz. 61

BGH, Urt. v. 22.5.2007 – VI ZR 17/06, VersR 2007, 1093

Zitat

BGB § 823

Wird eine psychische Gesundheitsbeeinträchtigung auf das Miterleben eines schweren Unfalls zurückgeführt, so kommt eine Haftung des Schädigers regelmäßig nicht in Betracht, wenn der Geschädigte nicht selbst unmittelbar an dem Unfall beteiligt war.

1. Der Fall

 

Rz. 62

Das klagende Land verlangte von der beklagten Versicherung aus übergegangenem Recht Ersatz von Leistungen für zwei in seinem Dienst stehende Polizeibeamte, die nach einem Verkehrsunfall ein posttraumatisches Belastungssyndrom erlitten haben sollen.

 

Rz. 63

Am 21.12.2002 befuhr ein Versicherungsnehmer der Beklagten (nachfolgend: Schädiger) als "Geisterfahrer" die Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung. Er stieß frontal mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen, in dem sich eine vierköpfige Familie befand. Beide Pkw fingen im weiteren Verlauf Feuer und brannten völlig aus; sämtliche Insassen verbrannten.

 

Rz. 64

Auf dem Heimweg vom Nachtdienst näherten sich die Polizeibeamten H. und sein Beifahrer T. der Unfallstelle. Ihr Fahrzeug geriet bei dem Versuch, den Unfallfahrzeugen auszuweichen, gegen die Leitplanke, wobei T. eine HWS/BWS-Distorsion erlitt. Nach Behauptung des Klägers hat T. einen Rettungsversuch unternommen, der unstreitig abgebrochen worden ist, als die Fahrzeuge in Flammen aufgingen. Sodann kam der Polizeibeamte D. zur Unfallaufnahme hinzu.

 

Rz. 65

Wegen der HWS/BWS-Distorsion war T. vom 23.12.2002 bis 2.1.2003 dienstunfähig. Der Kläger machte geltend, T. und D. hätten durch den Unfall eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten. Darauf führte der Kläger die mehrmonatige Dienstunfähigkeit des T. ab September 2003 und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit des D. zurück.

 

Rz. 66

Die Beklagte hatte Heilbehandlungskosten wegen der HWS/BWS-Distorsion des T. erstattet. Im Rechtsstreit hat der Kläger insoweit weitere Heilbehandlungskosten und insbesondere weiteren Schadensersatz und Feststellung einer Ersatzpflicht für alle künftigen Schäden aus dem Dienstunfall wegen der behaupteten posttraumatischen Belastungsstörungen begehrt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte lediglich hinsichtlich des Ersatzes weiterer Heilbehandlungskosten wegen der HWS/BWS-Distorsion Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Kläger seinen Klageantrag in vollem Umfang weiter.

2. Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 67

Soweit das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche wegen eines posttraumatischen Belastungssyndroms abgelehnt hatte, hielt das Berufungsurteil der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hatte insoweit zu Recht Schadensersatzansprüche der Polizeibeamten T. und D. verneint, weil es sowohl für Ansprüche aus § 823 BGB als auch aus §§ 7, 18 StVG an dem erforderlichen haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang fehlte.

 

Rz. 68

Durch ein Unfallgeschehen ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störungen von Krankheitswert können eine Verletzung des geschützten Rechtsguts Gesundheit i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen (vgl. z.B. Senatsurt. BGHZ 132, 341, 344 m.w.N. und v. 16.1.2001 – VI ZR 381/99 – VersR 2001, 874, 875). Im Streitfall war revisionsrechtlich zu unterstellen, dass die vom erkennenden Senat an eine Gesundheitsbeschädigung im Sinne dieser Vorschrift gestellten Anforderungen (vgl. Senatsurt. BGHZ 56, 163, 165 f.; 132, 341, 344; v. 31.1.1984 – VI ZR 56/82 – VersR 1984, 439; v. 4.4.1989 – VI ZR 97/88 – VersR 1989, 853, 854) erfüllt waren, weil nach den Ausführungen des Berufungsgerichts eine unfallbedingte Gesundheitsschädigung der Polizisten schlüssig dargetan war und das Berufungsgericht offen gelassen hatte, ob die für eine Gesundheitsschädigung i.S.d. § 823 BGB erforderliche Erheblichkeitsschwelle überschritten war.

 

Rz. 69

Gleichwohl hatte das Berufungsgericht im Ergebnis eine Haftung ohne Rechtsfehler verneint. Die geltend gemachten Gesundheitsbeeinträchtigungen durch ein posttraumatisches Belastungssyndrom waren nicht unmittelbar durch das Falschfahren auf der Autobahn und den dadurch verursachten Zusammenstoß mit dem Gegenverkehr verursacht. Im Unterschied zu dem von T. erlittenen und gesondert zu beurteilenden Gesundheitsschaden in Form einer HWS/BWS-Distorsion beruhten sie auch nicht auf einer Handlung zur Vermeidung einer Kollision mit dem falsch fahrenden Fahrzeug. Sie waren vielmehr auf eine psychisch vermittelte Schädigung zurückzuführen, die nach dem Vorbringen des Klägers nicht Folge einer HWS/BWS-Verletzung war, sondern dadurch entstanden ist, dass die Polizeibeamten mit ansehen mussten, wie die Insassen der beteiligten Unfallfahrzeuge verbrannten, ohne helfend eingreifen zu können. Unter diesen Umständen kann ein solcher Gesundheitsschaden dem Schädiger nicht zugerechnet werden.

 

Rz. 70

Der erkennende Senat hat eine Haftpflicht des Unfallverursachers in Fällen anerkannt, in denen der Geschädigte als direkt am Unfall Beteiligter infolge einer psychischen Schädigung eine schwere Gesundheitsstörung erlitten hat (vgl. Senatsurt....

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