Rz. 299
BGH, Beschl. v. 16.2.2016 – VI ZR 428/15, juris
Zitat
GG Art. 103 Abs. 1
Zu den Anforderungen an die Schlüssigkeit des Sachvortrages, durch einen Verkehrsunfall einen Tinnitus erlitten zu haben.
1. Der Fall
Rz. 300
Der Kläger nahm die Beklagte nach einem Verkehrsunfall am 15.9.2010, für den die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Fahrzeughalters einzustehen hatte, auf weiteres Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 25.000 EUR, Schadensersatz und Feststellung in Anspruch.
Rz. 301
Am Tag des Unfalls begab sich der Kläger in ärztliche Behandlung. Er hat unter Vorlage verschiedener ärztlicher Bescheinigungen sowie unter Bezugnahme auf das sachverständige Zeugnis seines Hausarztes, des behandelnden Facharztes und Sachverständigengutachten behauptet, er habe durch den Unfall einen traumatischen Hörschaden am linken Ohr mit einer Hochtonsenke und einem erheblichen Ohrgeräusch (Tinnitus) erlitten. Die unfallbedingten Beeinträchtigungen seien durch das von der Beklagten gezahlte Schmerzensgeld nicht ausreichend kompensiert. Es sei von einer geminderten Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 % auszugehen.
Rz. 302
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückgewiesen. Dagegen wandte sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Die rechtliche Beurteilung
Rz. 303
Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte Erfolg. Sie führte gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hatte den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
Rz. 304
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe das Andauern von unfallbedingten Beschwerden nach dem 15.10.2010 nicht ausreichend dargelegt, verletzte den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG.
Rz. 305
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben (BGH, Urt. v. 29.2.2012 – VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn 14 m.w.N.).
Rz. 306
Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei ggf. die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (BVerfG WM 2012, 492 Rn 16; BGH, Beschl. v. 21.5.2007 – II ZR 266/04, WM 2007, 1569 Rn 8; BGH, Urt. v. 29.2.2012 – VIII ZR 155/11, NJW 2012, 1647 Rn 16, jeweils m.w.N.).
Rz. 307
Wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht beanstandete, hatte das Berufungsgericht hiergegen verstoßen, indem es sich über den Vortrag des Klägers mit der Bewertung hinweggesetzt hat, der Kläger habe das Andauern von unfallbedingten Beschwerden nach dem 15.10.2010 nicht ausreichend dargelegt.
Rz. 308
Der Kläger hatte in der Klageschrift und in der Berufungsbegründung unter Beweisantritt vorgetragen, die Hörminderung und der Tinnitus links hielten unverändert an. Nachdem das Berufungsgericht ihn darauf hingewiesen hatte, dass er fortbestehende gesundheitliche Beschwerden nach dem 15.10.2010 nicht ausreichend dargelegt habe, hatte er mit Schriftsatz vom 9.6.2015, zudem unter Vorlage eines für die Beklagte unter Angabe ihrer Schadensnummer zum streitgegenständlichen Unfall angefertigten Berichts seines Hausarztes Dr. K. S. vom 26.4.2011, den die Beklagte – anders als die Berichte von Dr. P. vom 13.4.2011 und Dr. B. vom 16.5.2011 – mit der Klageerwiderung nicht vorgelegt hatte, geltend gemacht, auch dieser belege, dass die unfallbedingten Beeinträchtigungen über den 15.10.2010 hinaus fortbestanden hätten. Der Bericht hat folgenden Wortlaut:
Zitat
"Es wurde eine Hörminderung links festgestellt. Der Patient klagte über erhebliches Ohrgeräusch. (…) Behandlungstermine laufend seit Unfalltag. (…) Die Behandlung ist noch nicht beendet. (…) Der Patient ist noch nicht wiederhergestellt. (…) Der Heilverlauf ist verzögert, da der Patient durch die Affektion des Gehöres noch erhebliche Probleme hat. (…) Ja, es ist möglich, dass ein dauerhaftes Ohrgeräusch (Tinnitus) zurückbleibt mit entsprechenden Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen (…)."
Rz. 309
Ferner hatte der Kläger sich auf weitere Bescheinigungen des behandelnden Facharztes Dr. P. vom 29.5.201...