Rolf Schaefer, Dipl.-Jur. Malte Schaefer
I. Anwendbarkeit
Rz. 10
Grundsätzlich war zur Rechtslage vor und nach der Gesetzesänderung zum 13.6.2014 umstritten, ob der Dienstleistungsvertrag zwischen Mandant und Anwalt überhaupt den Regelungen zum Fernabsatzvertrag und dessen Widerruf (nunmehr §§ 312 ff. und 355 ff. BGB) unterfällt oder aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant und Anwalt von der Widerrufsmöglichkeit nicht umfasst war. Nunmehr ist vom Bundesgerichtshof mit dem Urt. v. 23.11.2017 entschieden worden, dass auch grundsätzlich der Anwaltsvertrag den Regelungen der §§ 312 ff. und 355 ff. BGB unterfallen kann. Eine grundsätzliche Ausnahme für den anwaltlichen Dienstvertrag ist nicht zu machen. Im Hinblick auf den Gesetzeswortlaut und die diesem zugrundeliegende Richtlinie der europäischen Union überzeugt dieses. Der weite Anwendungsbereich dieser Normen kennt nur ausdrückliche Ausnahmen. In den Katalogen ist jedoch der Dienstleistungsvertrag zwischen Anwalt und Mandant nicht genannt. Zur weiteren genauen Begründung wird auf die Urteilsgründe (Rn. 11 ff.) verwiesen. Problematisch sind in der jetzigen Situation natürlich die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Gerade der Verzicht auf persönlichen Kontakt wird dazu führen, dass verstärkt Systeme zum Fernabsatz genutzt werden. Die Risiken für den Vergütungsanspruch liegen auf der Hand.
Rz. 11
Dabei ist jedoch zu beachten, dass gem. § 312c Abs. 1 BGB ein Fernabsatzvertrag nur vorliegt, wenn der Anwalt über ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienstleistungssystem verfügt und der Vertragsabschluss über dieses System erfolgte. Nach der Entscheidung des BGH vom 23.11.2017 liegt dieses nicht bereits vor, wenn der Rechtsanwalt lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrages über Fernabsatzkommunikationsmittel, wie Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse, vorhält (2. Leitsatz und Rdn 27). Mit Urt. v. 19.11.2020 hat der BGH diese Rechtsprechung bestätigt und erweitert. Dabei wird in der Entscheidung allerdings eine Vermutungsregelung aufgestellt. Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Rechtsanwalt bei einem Anwaltsvertrag, der ausschließlich unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden ist, darzulegen und zu beweisen, dass seine Vertragsabschlüsse nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- und Dienstleistungssystems erfolgt (vergl. 1. Leitsatz und Rdn 8 und 12).
In diesem Verfahren zeigt sich, dass in der Vorauflage dargestellte Risiko für die anwaltliche Vergütung. In dem vom BGH entschiedenen Fall verlor der Rechtsanwalt dadurch seine Vergütung aus einer Honorarvereinbarung (5.000 EUR). Mit dieser Entscheidung hat der BGH eine notwendige Konkretisierung vorgenommen und zeigt etwas besser auf, wann ein organisiertes Vertriebssystem vorliegt. Grundsätzlich wird nach herrschender Meinung ein solches System danach angenommen, wenn der Unternehmer in seinem Betrieb die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen. Wie dargestellt, ist ein solches System nicht schon anzunehmen, wenn der Rechtsanwalt nur gewisse technische Möglichkeiten bereithält. Zu diesen technischen Möglichkeiten dürften auch die häufig auf Homepages verwendeten Kontaktformulare zählen. Auch diese dienen nicht im Wesentlichen dem Vertragsschluss, sondern in erster Linie der reinen Anbahnung eines späteren Vertragsschlusses im Rahmen eines persönlichen Gespräches. Etwas anderes ist es jedoch, wenn der Anwalt sein Geschäftsmodell danach ausrichtet, dass der Mandant möglichst nicht seine Kanzlei betreten muss, sondern alle notwendigen Schritte und Beratungen vom Zuhause erledigen kann. Gerade die immer weiter voranschreitende Spezialisierung der Anwaltschaft und die verstärkte Nutzung des Internets führen dazu, dass Rechtsanwälte bundesweit Mandanten akquirieren. Mit seiner Entscheidung vom 19.11.2020 hat der BGH nun die Linien des Fernabsatzvertrages klarer gezogen. Dabei bürgt gerade die Vermutung des Fernabsatzvertrages ein erhebliches Risiko, da hiermit eine Beweisumkehr verbunden ist. Gerade die Vielzahl an verschiedenen Lebenssachverhalten während des Vertragsschlusses macht eine grundsätzliche Einordnung fast unmöglich.
Rz. 12
Wenn der Rechtsanwalt ein solches System nicht unterhält, ist es für die Belehrungspflichten und Widerrufsmöglichkeiten unschädlich, wenn ein Vertragsschluss z.B. über ein Telefon zustande kommt. Erst das bestehende System zum Fernabsatz der Dienstleistung löst die Belehrungspflichten aus. Dabei können allerdings in einer Kanzlei auch mehrere Systeme zur Mandatsbearbeitung nebeneinander bestehen. Es kommt dann darauf an, über welches System der Vertragsabschluss zustande kommt. Danach richtet sich die Belehrungspflicht. Wenn ein System zum Fernabsatz besteht, ist immer zu prüfen, welche Komponenten dieses System beinhaltet (Homepage, Telefon, Telefax, Email, usw.). Nur ein...