Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
a) Das EuGVÜ und das Haager Abkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen
Rz. 44
Da die EU- (vormals EWG-) Länder sich näher stehen als die Mitglieder der Haager Konferenz, vereinheitlicht das EuGVÜ bspw. mehr als das Haager Abkommen vom 1.2.1971 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile in Zivil- und Handelssachen und sein Zusatzprotokoll (das von Deutschland nicht gezeichnet und nur in den Niederlanden, in Portugal und Zypern in Kraft ist). Während das Haager Abkommen das gesamte Familienrecht ausnimmt, erfasst das EuGVÜ nach seinem Art. 5 Nr. 2 (Klägergerichtsstand am Wohnsitz des gewöhnlichen Aufenthalts des Unterhaltsberechtigten) zumindest familienrechtliche Unterhaltsansprüche (nicht jedoch nach Art. 1 das Recht der natürlichen Personen, das Ehegüterrecht und das Erbrecht). Andererseits gilt das EuGVÜ auch für Ansprüche der öffentlichen Hand gegen Unterhaltspflichtige auf Erstattung von Sozialhilfe (die die öffentliche Hand Unterhaltsberechtigten gezahlt hat).
Das nachstehend (siehe Rdn 58 ff.) noch darzustellende Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16.9.1988 (LugÜ) mit drei Protokollen und drei Erklärungen hat mit wenigen Abweichungen die Regeln des EuGVÜ übernommen.
b) Regelungsgehalt des EuGVÜ
Rz. 45
Die Entstehungsgeschichte des EuGVÜ spricht gegen eine Geltung des Übereinkommens in reinen Inlandsfällen. Das EuGVÜ regelt (über das Haager Abkommen hinausgehend; siehe Rdn 63) die internationale Zuständigkeit nicht nur als Anerkennungs-, sondern auch als Entscheidungszuständigkeit (selbst gegenüber Klägern aus Nichtvertrags-, d.h. Drittstaaten). Die Entscheidungszuständigkeit wird nach Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ/Art. 2 Abs. 1 EuGVO primär durch den Wohnsitz des Beklagten in dem Vertragsstaat bestimmt, dessen Gerichte entscheiden (bei juristischen Personen nach Art. 53 EuGVÜ/Art. 60 EuGVO durch deren Sitz). Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ/Art. 3 Abs. 2 EuGVO verbietet exorbitante Gerichtsstände (bspw. die deutsche Regelung des § 23 ZPO): Gegen Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, können insbesondere nicht (die in Anhang I aufgeführten) innerstaatliche Zuständigkeitsvorschriften geltend gemacht werden. Sofern der Beklagte außerhalb der EU (ex EWG) wohnhaft ist, gilt das Zuständigkeitsrecht des Gerichtsstaates, es sei denn, das EuGVÜ/die EuGVO schreibt in Art. 16 EuGVÜ/Art. 22 und 23 EuGVO eine ausschließliche Zuständigkeit vor (wobei nach Art. 4 EuGVÜ/Art. 4 EuGVO hier auch exorbitante Gerichtsstände zulässig sind). Für Beklagte innerhalb der EU (ex EWG) statuiert Art. 5 EuGVÜ/Art. 5 EuGVO neben der Wohnsitz- bzw. Sitzzuständigkeit (bei juristischen Personen) auch Sondergerichtsstände – so bei Unterhaltsklagen den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Unterhaltsberechtigten (vgl. Art. 5 Nr. 2 EuGVÜ/Art. 5 Nr. 2 EuGVO).
Rz. 46
Art. 6 EuGVÜ/Art. 6 EuGVO begründet eine Zuständigkeit kraft Sachzusammenhangs. Ein ausschließlicher Gerichtsstand besteht nach Art. 16 EuGVÜ/Art. 22 Nr. 5 EuGVO für Vollstreckungssachen im Vollstreckungsstaat. Art. 17 EuGVÜ/Art. 23 EuGVO gestattet grundsätzlich eine Prorogation. Eine Zuständigkeit des Gerichts kann sich gem. Art. 18 EuGVÜ/Art. 24 EuGVO auch aus der Einlassung des Gegners ergeben. Nach Art. 19 und 20 EuGVÜ/Art. 25 und 26 EuGVO werden internationale Unzuständigkeit und mangelhafte Ladung des Beklagten z.T. von Amts wegen berücksichtigt. Gemäß Art. 21 bis 23 EuGVÜ/Art. 27 bis 30 EuGVO (die nicht für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus Drittstaaten gelten) muss die Rechtshängigkeit in einem anderen Vertragsstaat beachtet werden, ein Sachzusammenhang mit einem Verfahren in einem anderen Vertragsstaat kann beachtet werden.
Rz. 47
Art. 24 EuGVÜ/Art. 31 EuGVO gestattet überall einstweilige Maßregeln.
Rz. 48
Nach Art. 25 EuGVÜ/Art. 32 EuGVO werden außer Urteile auch Entscheidungen aller Art anerkannt (mithin auch solche der freiwilligen Gerichtsbarkeit, zudem z.B. Kostentitel), ohne dass es dafür ein besonderes Anerkennungsverfahren gibt (vgl. Art. 26 EuGVÜ/Art. 33 EuGVO). Fraglich ist aber, ob dies auch für die Anerkennung rein prozessualer Entscheidungen (wie z.B. Anordnungen einer Beweisaufnahme) gilt. Eine Entscheidung wird gem. Art. 27 i.V.m. Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ/Art. 34 EuGVO in folgenden Fällen, d.h. bei
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Verstoß gegen den ordre public des Anerkennungsstaates; |
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Nichteinlassung des Beklagten im Falle fehlender oder mangelhafter Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder zu kurzer Einlassungsfrist; |
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ergangener widersprechender Entscheidung im Anerkennungsstaat; sowie bei der |
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Entscheidung über eine Vorfrage des Rechts der natürlichen Personen, des Ehegüter- und Erbrechts entgegen dem internationalen Privatrecht des Anerkennungsstaates |
nicht anerkannt sowie nach Art. 28 i.V.m. Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ/Art. 35 EuGVO bei Verletzung der interna...