Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
Rz. 293
Zentrale Kollisionsnormen sind Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 3 HUntProt. Soweit im HUntProt nichts anderes bestimmt ist, ist nach Art. 3 Abs. 1 HUntProt (ebenso wie schon nach dem HUntÜ, siehe Rdn 316 ff.) als Grundnorm für die Anknüpfung für Unterhaltspflichten (allerdings vorbehaltlich der Sonderanknüpfungsregel des Art. 4 Abs. 3 HUntProt: lex fori bei Vorliegen der Vorausetungen des Art. 4 Abs. 1 HUntProt, d.h. wenn ein Unterhaltsberechtigter [i.S.d. in Art. 4 HUntProt genannten berechtigten Personen – qualifizierte Unterhaltsberechtigte] im Aufenthaltsstaat des Unterhaltspflichtigen klagt) das (materielle Unterhalts-)Recht des Staates maßgebend (Sachnormverweisung), in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Regelanknüpfung).
Rz. 294
Von der Grundnorm des Art. 3 Abs. 1 HUntProt besteht
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die Möglichkeit einer Ersatzanknüpfung nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 2 und 4 HUntProt (lex fori bzw. Recht des Staates, dem die berechtigte und die verpflichtete Person gemeinsam angehören), |
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im Hinblick auf Unterhaltsansprüche zwischen Ehegatten die Auflockerungsregel des Art. 5 HUntProt, |
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die Einrede nach Art. 6 HUntProt bzw. |
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die Möglichkeit einer Rechtswahl nach Art. 7 oder 8 HUntProt. |
Rz. 295
Bei der Auslegung des Begriffs "gewöhnlicher Aufenthalt" ist nach Art. 20 HUntProt dem internationalen Charakter und der Notwendigkeit, seine einheitliche Anwendung zu fördern, Rechnung zu tragen (autonome Auslegung). "Gewöhnlicher Aufenthalt" ist i.S.d. faktischen Lebensmittelpunkts zu verstehen. Wechselt die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt, so ist vom Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels an (d.h. ex nunc) das Recht des Staates (Unterhaltsstatut) des neuen gewöhnlichen Aufenthalts anzuwenden (Art. 3 Abs. 2 HUntProt – Wechsel des anwendbaren Rechts).
Rz. 296
Art. 4 HUntProt trifft Sonderregelungen zugunsten bestimmter berechtigter Personen in Bezug auf Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern sowie anderer Personen als der Eltern gegenüber Personen, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (mit Ausnahme der Unterhaltspflichten aus den in Art. 5 HUntProt genannten Beziehungen), ferner der Kinder gegenüber ihren Eltern (wobei das Gericht das für die Parteien günstigere Recht von Amts wegen anzuwenden hat) – und zwar
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in Abs. 2 und Abs. 4 eine Ersatzanknüpfung zugunsten des Berechtigten bzw. |
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in Abs. 3 eine Sonderanknüpfungsregel bei einer Klage am gewöhnlichen Aufenthalt des Verpflichteten. |
Art. 4 Abs. 2 HUntProt ist – so der EuGH – so auszulegen, dass
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der Umstand, dass der Staat des angerufenen Gerichts jenem entspricht, in dem die berechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, der Anwendung dieser Bestimmung nicht entgegensteht, wenn durch die in dieser Bestimmung vorgesehene subsidiäre Anknüpfungsregel ein anderes Recht bestimmt wird als durch die in Art. 3 HUntProt vorgesehene primäre Anknüpfungsregel; |
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auf einen Fall, in dem die unterhaltsberechtigte Person, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt gewechselt hat, bei den Gerichten des Staates ihres neuen gewöhnlichen Aufenthalts gegen die verpflichtete Person einen Antrag auf Zahlung von Unterhalt für einen vergangenen Zeitraum stellt, in dem sie sich in einem anderen Mitgliedstaat aufgehalten hat, das am Ort des angerufenen Gerichts geltende Recht, das auch das Recht des Staates ihres neuen gewöhnlichen Aufenthalts ist, Anwendung finden kann, wenn die Gerichte des Mitgliedstaates des angerufenen Gerichts für Unterhaltsstreitigkeiten, die diese Parteien betreffen und sich auf den gesamten Zeitraum beziehen, zuständig waren. |
Die in Art. 4 Abs. 2 HUntProt enthaltene Wendung "kann … keinen Unterhalt erhalten" ist dahin auszulegen, dass sie auch den Fall erfasst, dass die berechtigte Person nach dem Recht des Staates, in dem sie früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, keinen Unterhalt erhalten kann, weil sie bestimmte, nach diesem Recht bestehende Voraussetzungen nicht erfüllt.
Art. 4 Abs. 3 HUntProt ist – so der EuGH – dahin auszulegen, dass in einem Fall, wo der zu zahlende Unterhaltsbeitrag auf Antrag der berechtigten Person gem. Art. 4 Abs. 3 HUntProt rechtskräftig nach dem am Ort des angerufenen Gerichts geltenden Recht festgesetzt worden ist, dieses Recht nicht auch für einen Antrag auf Herabsetzung des festgesetzten Unterhaltsbeitrags maßgeblich ist, den die verpflichtete Person in der Folge bei einem Gericht des Staates, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, gegen die berechtigte Person stellt. Art. 4 Abs. 3 HUntProt ist weiterhin dahin auszulegen, dass die berechtigte Person die zuständige Behörde des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der verpflichteten Person nicht i.S. dieser Bestimmung "anruft", wenn sie sich in einem von der verpflichteten Person bei dieser Behörde eingeleiteten Verfahren i.S.v. Art. 5 EU-UnterhaltsVO durch Bestreiten in der Sache einlässt.
Rz. 297
Unterhaltsansprüche aus der Ehe unterfallen vorrangig auch dann Art. 5 HUntProt, wenn der Ehe...