Rz. 397

Die internationale Zuständigkeit ist in den Art. 5 bis 14 KSÜ geregelt. International zuständig sind nach der Grundregel des Art. 5 Abs. 1 KSÜ (unabhängig von der Staatsangehörigkeit)[544] grundsätzlich und an erster Stelle die "Behörden" (Gerichte oder Verwaltungsbehörden) des Vertragsstaates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (oder in dem sich das Flüchtlingskind aufhält, vgl. Art. 6 KSÜ), sog. Aufenthaltszuständigkeit. Sie sind zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes zu treffen.

 

Rz. 398

Art. 7 Abs. 1 KSÜ regelt eingehend die Zuständigkeit im Falle eines widerrechtlichen Verbringens oder Zurückhaltens des Kindes i.S.v. Art. 7 Abs. 2 KSÜ, der gesetzlichen Fiktion der Widerrechtlichkeit des Verbringens oder Zurückhaltens eines Kindes (Kindesentführung). Danach bleiben die Behörden des Vertragsstaates, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so lange international zuständig (und die Behörden des neuen Vertragsstaates auf dringliche Maßnahmen beschränkt, vgl. Art. 7 Abs. 3 KSÜ), bis das Kind einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat erlangt hat und

jede sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle das Verbringen oder Zurückhalten genehmigt hat, oder
das Kind sich in diesem anderen Staat mindestens ein Jahr aufgehalten hat, nachdem die sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle seinen Aufenthaltsort kannte oder hätte kennen müssen, kein während dieses Zeitraums gestellter Antrag auf Rückgabe mehr anhängig ist und das Kind sich in seinem neuen Umfeld eingelebt hat.
 

Rz. 399

Eine Lockerung der Aufenthaltszuständigkeit (nach Art. 5, 6 bzw. 7 KSÜ) erfolgt gem. Art. 8 Abs. 2 KSÜ in vier Fällen zugunsten einer eingeschränkten Zuständigkeit der Behörden jenes Staates,

dem das Kind angehört (Staatsangehörigkeitszuständigkeit);
in dem sich Vermögen des Kindes befindet (Belegenheitszuständigkeit);
in dem ein Scheidungs- oder Eheverfahren der Eltern anhängig ist (Verbundzuständigkeit); bzw.
zu dem das Kind eine "enge Verbindung" hat.
 

Rz. 400

In den genannten Fällen können die kraft Aufenthalts zuständigen Behörden im Einzelfall im Interesse des Kindeswohls entweder selbst oder über die Parteien die Behörden des anderen Vertragsstaates bitten, die Zuständigkeit zu übernehmen (Art. 8 Abs. 1 KSÜ – Übernahme des Verfahrens durch ein sachnäheres Gericht). Die Behörden des anderen Vertragsstaates können aber auch selbst oder über die Parteien um Überlassung der Zuständigkeit bitten (Art. 9 Abs. 1 KSÜ). Sind die in Art. 8 Abs. 2 KSÜ genannten Behörden eines Vertragsstaates der Auffassung, dass sie besser in der Lage sind, das Wohl des Kindes im Einzelfall zu beurteilen, so können sie

entweder die zuständige Behörde des Vertragsstaates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes unmittelbar oder mit Unterstützung der Zentralen Behörde dieses Staates ersuchen, ihnen zu gestatten, die Zuständigkeit auszuüben, um die von ihnen für erforderlich gehaltenen Schutzmaßnahmen zu treffen,
oder die Parteien einladen, bei der Behörde des Vertragsstaates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes einen solchen Antrag zu stellen.
 

Rz. 401

Eine Verbundzuständigkeit regelt Art. 10 KSÜ (Annexzuständigkeit im Scheidungsverfahren). Danach können (unbeschadet der Art. 5 bis 9 KSÜ) die Behörden eines Vertragsstaates, in dem eine Ehesache der Eltern anhängig ist oder ein Elternteil sich aufhält, sofern die Eltern (und wer sonst die elterliche Verantwortung trägt) einverstanden und das Kindeswohl gewahrt ist, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes treffen, auch wenn dieses sich in einem anderen Vertragsstaat gewöhnlich aufhält.

 

Rz. 402

Art. 11 Abs. 1 KSÜ trifft schließlich eine Regelung für "dringende Fälle" (Eilzuständigkeit): Entsprechende Maßnahmen treten nach Art. 11 Abs. 2 KSÜ jedoch wieder außer Kraft, sobald die normalerweise nach den Art. 5 bis 10 KSÜ zuständigen Behörden "die durch die Umstände gebotenen Maßnahmen getroffen haben" (mithin das Nötige veranlasst haben). Sofern das Kind in einem Nichtvertragsstaat lebt, treten die nach Art. 11 Abs. 1 KSÜ getroffenen Maßnahmen in jedem Vertragsstaat außer Kraft, "sobald dort die durch die Umstände gebotenen und von den Behörden eines anderen Staates getroffenen Maßnahmen anerkannt werden" (Art. 11 Abs. 3 KSÜ).

 

Rz. 403

Art. 12 Abs. 1 KSÜ gestattet vorläufige Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens eines Kindes durch Behörden eines Vertragsstaates, in dem sich das Kind aufhält oder Vermögen hat. Entsprechende vorläufige Maßregeln sind – beschränkt auf das eigene Staatsgebiet – zulässig, wenn sie nicht solchen zuwiderlaufen, die von den normalerweise (d.h. den gem. Art. 5 bis 10 KSÜ) zuständigen Behörden eines Vertragsstaates getroffen worden sind. Entsprechende vorläufige Maßnahmen treten nach Art. 12 Abs. 2 KSÜ dann außer Kraft, sobald eine normalerweise zuständige Behörde das Notwendige unternommen hat. Art. 12...

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