Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
Rz. 125
Anknüpfungsleiter des Art. 26 der VOen: Die VOen unterscheiden sich voneinander in Bezug auf die Anknüpfungsleiter bei der Bestimmung des mangels Rechtswahl anzuwendenden Rechts.
Wird keine Rechtswahl getroffen, so bestehen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts mit den tatsächlichen Lebensumständen des Paares harmonisierte Kollisionsnormen, die sich auf eine Rangfolge der Anknüpfungspunkte (Anknüpfungskaskade) stützen, anhand deren sich das auf das gesamte Vermögen der Ehegatten anzuwendende Recht bestimmen lässt (objektive Anknüpfung):
Rz. 126
Wird keine Rechtswahlvereinbarung getroffen (mangels Rechtswahlvereinbarung nach Art. 22 der EUGüVO), unterliegt der eheliche Güterstand gem. Art. 26 Abs. 1 EUGüVO in Bezug auf das gesamte Vermögen im Zuge einer objektiven Anknüpfung nach der Konzeption einer Anknüpfungsleiter primär folgendem Recht:
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dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben (lit. a – erster Anknüpfungspunkt). Damit tritt das Staatsangehörigkeitsprinzip im europäischen Güterrecht hinter das Aufenthaltsprinzip zurück. Der Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" ist nicht definiert – aber autonom auszulegen (vergleichbar der EuGH-Rechtsprechung zur Brüssel IIa-VO) als gemeinsamer tatsächlicher (gewöhnlicher) Lebensmittelpunkt, der nach Dauer und Regelmäßigkeit des Aufenthalts sowie zusätzlich über die Integration in das soziale Umfeld zu bestimmen ist; |
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oder andernfalls (subsidiär) dem Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung besitzen (lit. b – gemeinsame Staatsangehörigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung erst als zweiter Anknüpfungspunkt); |
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oder andernfalls dem Recht des Staates, mit dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Umstände (des Einzelfalls) zum Zeitpunkt der Eheschließung gemeinsam am "engsten verbunden" sind (lit. c – gemeinsame engste Verbindung als dritter Auffanganknüpfungspunkt). |
Rz. 127
Die güterrechtlichen Wirkungen einer eingetragenen Partnerschaft unterliegen mangels Rechtswahlvereinbarung nach Art. 22 EUPartVO gem. Art. 26 Abs. 1 EUPartVO hingegen dem Recht des Staates, nach dessen Recht die eingetragene Partnerschaft begründet wurde (d.h. nach dessen Recht die verbindliche Eintragung zur Begründung der Partnerschaft konstitutiv vorgenommen worden ist, vgl. Erwägungsgrund Nr. 48 der EUPartVO).
Rz. 128
Besonderheiten für Ehegatten, die Mehrstaater sind: Besitzen die Ehegatten zum Zeitpunkt der Eheschließung mehr als eine gemeinsame Staatsangehörigkeit (Mehrstaater), findet nach Art. 26 Abs. 2 EUGüVO nur Art. 26 Abs. 1 lit. a und c der VO Anwendung: Ausschluss des Art. 26 Abs. 1 lit. b EUGüVO – Anwendbarkeit letztlich von lit. c, d.h dem Recht der Rechtsordnung der "engsten Verbindung" im Zeitpunkt der Eheschließung.
Rz. 129
Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterstatuts: Die Anknüpfung an den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten nach der Eheschließung gem. Art. 26 Abs. 1 lit. a EUGüVO ist grundsätzlich unwandelbar, womit ein nachfolgender Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts grundsätzlich nicht zu einem Statutenwechsel führt. Die Ehegatten können jedoch das Güterrechtsstatut durch Rechtswahl nach Art. 22 EUGüVO jederzeit (wieder) ändern. Ausnahmsweise kann das Gericht, das für Fragen des ehelichen Güterrechts/der güterrechtlichen Wirkungen der eingetragenen Partnerschaft zuständig ist, jedoch auf Antrag eines der Ehegatten/Partner nach Art. 26 Abs. 3 Unterabs. 1 EUGüVO respektive Art. 26 Abs. 2 Unterabs. 1 EUPartVO (Ausweichklausel) entscheiden, dass das Recht eines anderen Staates als des Staates, dessen Recht nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EUGüVO bzw. Art. 26 Abs. 1 EUPartVO anzuwenden ist (Durchbrechung des Grundsatzes der Unwandelbarkeit), für den ehelichen Güterstand/die güterrechtlichen Wirkungen gilt, sofern (und im Falle der eingetragenen Partnerschaft "das Recht dieses anderen Staates güterrechtliche Wirkungen an das Institut der eingetragenen Partnerschaft knüpft" und) der Antragsteller nachweist, dass
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die Ehegatten/Partner ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (in diesem anderen Staat) über einen "erheblich längeren Zeitraum" und in Bezug auf Ehegatten (begrenzt) auf den nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EUGüVO bezeichneten Staat hatten (lit. a) und (kumulativ) |
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beide Ehegatten/Partner auf das Recht dieses anderen Staates bei der Regelung oder Planung ihrer vermögensrechtlichen/güterrechtlichen Beziehungen vertraut hatten (lit. b). |
Rz. 130
Das Recht dieses anderen Staates gilt nach der rechtlichen Fiktion des Art. 26 Abs. 3 Unterabs. 2 S. 1 EUGüVO bzw. Art. 26 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 1 EUPartVO grundsätzlich rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Eheschließung/Begründung der eingetragenen Partnerschaft. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein Ehegatte/Partner damit nicht einverstanden ist.