Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
1. Die Brüssel I-Verordnung
Rz. 36
Seit dem 1.3.2002 wurde das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ; siehe Rdn 44 ff.) für seit diesem Zeitpunkt erhobene Klagen (vgl. Art. 66 Abs. 1) durch die "Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen" (kurz EuGVO, EuGVVO bzw. Brüssel I-VO) ersetzt (bis zum 1.7.2007 galt das EuGVÜ nur noch gegenüber Dänemark). Die EuGVO wurde für Unterhaltspflichten durch die "Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen" (EU-UnterhaltsVO) abgelöst und erfasst daher seit dem 18.6.2011 keine Unterhaltspflichten mehr. Seit dem 10.1.2015 ist die Brüssel I-VO durch die VO (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (kurz: EuGVO, EuGVVO bzw. Brüssel Ia-VO) neu gefasst worden. Im Vergleich zur Brüssel I-VO bringt die Brüssel Ia-VO als Neuerungen außer dem Versuch, sog. Torpedoklagen im Kontext mit Gerichtsstandsvereinbarungen zu verhindern, der Abschaffung des Exequaturverfahrens und der ausdrücklichen Ausnahme staatlicher Hoheitsakte nach Art. 1 Abs. 1 vom Anwendungsbereich der VO im hier interessierenden Zusammenhang die – unter dem Regime der Brüssel I-VO teilweise noch umstrittene – Ausnahme von Güterständen mit vergleichbarer Wirkung wie eheliche Güterstände vom Geltungsbereich der Brüssel Ia-VO.
Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a Brüssel I-VO ist – so der EuGH – dahin auszulegen, dass eine Klage wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, mit der die Auflösung der sich aus einer faktischen Lebensgemeinschaft ergebenden Vermögensbeziehungen begehrt wird, zu den "Zivil- und Handelssachen" i.S.v. Abs. 1 dieses Artikels gehört und somit in den sachlichen Anwendungsbereich dieser VO fällt. Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel Ia-VO ist so der EuGH dahin auszulegen, dass ein Rechtsstreit, in dem es darum geht, nach einer Scheidung eine bewegliche Sache zu teilen, die während der Ehe von Eheleuten, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind, jedoch in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, erworben wurde, nicht in den Anwendungsbereich der VO, sondern unter die "ehelichen Güterstände" und damit unter die Ausnahmevorschrift von Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel Ia-VO fällt.
Rz. 37
Seit dem Inkrafttreten der EuGVO (siehe Rdn 36) wird das EuGVÜ nach Art. 68 EuGVO im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander durch die EuGVO ersetzt. Das EuGVÜ galt dann zunächst nur noch im Verhältnis der Mitgliedstaaten zu Dänemark, das an der EuGVO nicht teilnahm: "Dänemark beteiligt sich gemäß den Art. 1 und 2 des im Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft beigefügten Protokolls über die Position Dänemarks nicht an der Annahme dieser Verordnung, die daher für Dänemark nicht bindend und ihm gegenüber nicht anwendbar ist. Da in den Beziehungen zwischen Dänemark und den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten das Brüsseler Übereinkommen in Geltung ist, ist dieses sowie das Protokoll von 1971 im Verhältnis zwischen Dänemark und den durch diese Verordnung gebundenen Mitgliedstaaten weiterhin anzuwenden" (vgl. Erwägungsgründe Nr. 21 und 22 zur EuGVO). Aufgrund des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) auf Dänemark und eines entsprechenden Abkommens zur Ausdehnung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten auf Dänemark ist es dann gleichwohl auch zu einer Erstreckung auf Dänemark gekommen. Dänemark versteht nunmehr die EU-UnterhaltsVO (siehe Rdn 36) als Änderung der EuGVO und hat deshalb – gestützt auf Art. 3 Abs. 2 des Abkommens zwischen der EG und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeiten und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – am 14.1.2009 die Annahme der EU-UnterhaltsVO erklärt: Dänemark hat mit Art. 3 Abs. 2 des Abkommens zwischen der EG und dem Königreich Dänemark über die gerichtlichen Zuständigkeiten und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen am 19.10.2005 völkerrechtlich vereinbart, dass die EuGVO (Brüssel I-VO) auch für und im Verhältnis zu Dänemark Anwendung finden soll. Diese völkerrechtliche Vereinbarung ist am 1.7.2007 in Kraft getreten,