Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
1. Regelungsgehalt und Mitgliedstaaten
Rz. 156
Die "Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.12.2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts" (Rom III-VO) ersetzt für Verfahren und Rechtswahlvereinbarungen, die seit dem 21.6.2012 eingeleitet oder abgeschlossen wurden (so die Übergangsregelung des Art. 18 Abs. 1 Rom III-VO – wobei eine Rechtswahlvereinbarung, die vor dem 21.6.2012 geschlossen wurde, auch wirksam ist [sofern sie die Voraussetzungen der Art. 6 und 7 Rom III-VO erfüllt]) das nationale Kollisionsrecht der nach ihrem Art. 3 an der Rom III-VO teilnehmenden Mitgliedstaaten. Somit verbleibt für das nationale IPR im sachlichen Anwendungsbereich der Rom III-VO grundsätzlich kein eigenständiger Anwendungsbereich mehr.
Rz. 157
Mitgliedstaaten sind augenblicklich (aufgrund des Ratsbeschlusses vom Juli 2010 über die Ermächtigung zur Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts – ohne Beteiligung der anderen Mitgliedstaaten [isolierte Lösung]) neben Deutschland (hier wird seit dem 21.6.2012 für gemischt-nationale Ehen Art. 17 EGBGB verdrängt) auch Belgien, Bulgarien, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Österreich, Portugal, Rumänien, Slowenien, Spanien und Ungarn. Griechenland hatte nach Erwägungsgrund Nr. 6 der Rom III-VO seinen Antrag am 3.3.2010 zurückgezogen, entschied aber später, dass es doch noch die Rom III-VO anwenden möchte. Die EU-Kommission hat der neuen Entscheidung Griechenlands zugestimmt, und die Rom III-VO findet nunmehr seit dem 29.7.2015 auch in Griechenland Anwendung. Für Estland gilt die Rom III-VO seit dem 11.2.2018.
2. Anwendungsbereich
Rz. 158
Die Rom III-VO gilt nach Art. 1 Abs. 1 für die Ehescheidung (nicht jedoch für eine Privatscheidung) und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes (wobei im Hinblick auf diese Begrifflichkeiten ein Gleichklang mit Art. 1 Abs. 1 lit. a EUEheVO 2003 [siehe Rdn 11] intendiert ist) in Fällen, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen.
Rz. 159
Der EuGH hat in seiner Sahyouni-Entscheidung vom 20.12.2017 ausgeführt, dass Art. 1 Rom III-VO dahin auszulegen ist, dass eine durch einseitige Erklärung eines Ehegatten vor einem geistlichen Gericht bewirkte Ehescheidung (wie die im Ausgangsverfahren streitige) nicht in den sachlichen Anwendungsbereich der VO fällt:
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Was den Wortlaut von Art. 1 Rom III-VO betrifft, heißt es in dessen Abs. 1 lediglich, dass die VO für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes in Fällen gilt, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen. Dem Wortlaut dieses Artikels lässt sich demnach kein hilfreiches Kriterium für die Bestimmung des Begriffs "Ehescheidung" i.S. dieser Vorschrift entnehmen. |
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Bezüglich des Zusammenhangs, in dem Art. 1 Rom III-VO steht, ist festzustellen, dass der Begriff "Ehescheidung" i.S. dieser VO in keiner anderen Vorschrift der VO bestimmt wird. Sodann sind, wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Privatscheidungen zwar nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich der VO ausgenommen, doch wird aus den in mehreren Bestimmungen der VO – wie Art. 1 Abs. 2, Art. 5 Abs. 2 und 3, Art. 8, Art. 13 und Art. 18 Abs. 2 – enthaltenen Bezugnahmen auf das Tätigwerden eines "Gerichts" und das Vorhandensein eines "Verfahrens" deutlich, dass die VO ausschließlich solche Ehescheidungen erfasst, die entweder von einem staatlichen Gericht oder von einer öffentlichen Behörde bzw. unter deren Kontrolle ausgesprochen werden. Schließlich sollten nach dem 10. Erwägungsgrund der VO der sachliche Anwendungsbereich und die Bestimmungen dieser VO mit der VO Nr. 2201/2003 (EheVO 2003, vorstehende Rdn 4) im Einklang stehen. |
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In Bezug auf das mit der Rom III-VO verfolgte Ziel ergibt sich aus dem Titel der VO, dass sie unter den teilnehmenden Mitgliedstaaten eine Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts begründet. Wie der Generalanwalt in Nr. 65 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, waren es zur Zeit des Erlasses der VO nur öffentliche Organe, die in den Rechtsordnungen der an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten in diesem Bereich Entscheidungen mit rechtlicher Bedeutung erlassen konnten. Auch wenn seit dem Erlass der VO mehrere Mitgliedstaaten in ihrer Rechtsordnung di... |