Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
1. Konkurrenzen
Rz. 360
Das Haager Abkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen (MSA) vom 5.10.1961 verdrängt – in seinem Anwendungsbereich – die Vorschriften des autonomen deutschen internationalen Privat- und Verfahrensrechts. Damit richtet sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ebenso wie das anwendbare Recht zur Regelung der elterlichen Sorge nach den Vorgaben des MSA, sofern sie vom sachlichen, personellen und räumlichen Geltungsbereich des Schutzabkommens erfasst werden. Das MSA führt in der Praxis wegen der Trennung von gesetzlichen Gewaltverhältnissen und Maßregeln zu erheblichen Schwierigkeiten. Kritisch wird auch die Einführung des Aufenthaltsrechts neben dem Heimatrecht des Minderjährigen angesehen, darüber hinaus das Abgehen vom Personalstatut der Eltern.
2. Anwendungsbereich
Rz. 361
Die Behörden (Gerichte oder Verwaltungsbehörden) des Staates, in dem ein Minderjähriger (persönlicher Anwendungsbereich) seinen gewöhnlichen Aufenthalt (in einem Vertragsstaat zum Zeitpunkt des Erlasses der Schutzmaßnahme – territorialer Anwendungsbereich) hat, sind nach Art. 1 MSA (internationale Zuständigkeit) grundsätzlich (vorbehaltlich der Bestimmungen der Art. 3, 4 und 5 Abs. 3 MSA) zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person und des Vermögens (sachlicher Anwendungsbereich) des Minderjährigen zu treffen.
Rz. 362
Unter "Schutzmaßnahmen" – als autonom zu qualifizierende Begrifflichkeit – fallen in weiter Auslegung behördliche wie gerichtliche Einzelakte zum Schutz eines bestimmten Minderjährigen, unabhängig davon, ob es sich um privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Maßnahmen handelt (insbesondere Fragen des Rechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kindern). Erfasst wird also der gesamte Schutz des Minderjährigen, neben der Vormundschaft (vgl. dazu Art. 18 MSA; siehe Rdn 389) auch die elterliche Sorge und der öffentlich-rechtliche Minderjährigenschutz. Minderjähriger ist gem. Art. 12 MSA, wer sowohl nach seinem Heimatrecht als auch nach dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts "minderjährig" ist mit der Folge, dass wer nach einem der beiden Rechte volljährig ist, dem MSA nicht mehr unterfällt. Seinem Anwendungsbereich nach erfasst das MSA nach Art. 13 Abs. 1 alle Minderjährigen, "die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in den Vertragsstaaten haben" – gewöhnlicher Aufenthalt verstanden (wie im deutschen Recht) als Daseinsmittelpunkt.
Rz. 363
Die Zuständigkeiten, die nach dem MSA den Behörden eines Staates zukommen, dem der Minderjährige angehört, bleiben nach Art. 13 Abs. 2 MSA jedoch den Vertragsstaaten vorbehalten, d.h., auch wenn das MSA die Behörde des Heimatstaates für zuständig erklärt, wirkt es nur zugunsten von Vertragsstaaten.
Rz. 364
Nach Art. 13 Abs. 3 MSA kann sich jeder Vertragsstaat auch vorbehalten, die Anwendung des Übereinkommens auf Minderjährige zu beschränken, die einem der Vertragsstaaten angehören. Den Vorbehalt nach Art. 13 Abs. 3 MSA haben Luxemburg, die Niederlande, Österreich und Spanien, nicht jedoch die Bundesrepublik Deutschland erklärt. Die Niederlande haben ihren Vorbehalt mit Wirkung vom 30.3.1982 wieder zurückgenommen, Österreich mit Wirkung vom 7.8.1990 und Spanien mit Wirkung vom 19.8.1995.
Rz. 365
Das MSA trifft eine Differenzierung zwischen
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gesetzlichen Gewaltverhältnissen (d.h. der elterlichen Sorge und der gesetzlichen Vormundschaft) einerseits sowie |
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Gewaltverhältnissen aufgrund von Maßregeln der Behörden (z.B. die Verteilung der elterlichen Sorge nach §§ 1671 f., 1696 BGB, Anordnung der Kindesherausgabe gem. § 1632 Abs. 2 BGB, Vormundschafts- oder Pflegschaftsanordnung bzw. die Anordnung von Heimerziehung) andererseits. |
Rz. 366
Behörden sind nach Art. 1 MSA sowohl Gerichte als auch Verwaltungsbehörden.