Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
Rz. 330
Nach Art. 1 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern anzuwendende Recht vom 24.10.1956 (HKindUntÜ) bestimmt sich die Frage,
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ob, |
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von wem |
ein Kind (mithin i.S.d. Art. 1 Abs. 4 HKindUntÜ jedes eheliche, uneheliche oder an Kindes statt angenommene Kind, das unverheiratet ist und das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hat – ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit) Unterhalt verlangen kann (mithin allein die Frage nach dem anwendbaren Recht für die Kindesunterhaltspflicht), nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (bzw. sofern der frühere Aufenthalt entscheidet, gehabt hat – vgl. Art. 6 und Art. 1 Abs. 1 HKindUntÜ). Das Kind muss also nach Art. 1 und 6 HKindUntÜ seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat des Abkommens haben. Wechselt das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt, wird nach Art. 1 Abs. 2 HKindUntÜ vom Zeitpunkt des Aufenthaltswechsels an das Recht des Staates angewendet, in dem das Kind seinen gewöhnlichen neuen Aufenthalt hat. Das dergestalt bestimmte Recht gilt auch für die Frage, wer die Unterhaltsklage erheben kann und welche Fristen für die Klageerhebung gelten (Art. 1 Abs. 3 HKindUntÜ).
Rz. 331
Allein ein deutlicher Verstoß gegen den ordre public führt nach der Vorbehaltsklausel des Art. 4 HKindUntÜ zur Nichtanwenbarkeit des HKindUntÜ.
Rz. 332
Das HKindUntÜ war für die Bundesrepublik Deutschland am 1.1.1962 im Verhältnis zu Italien, Luxemburg und Österreich in Kraft getreten. Später galt es außerdem im Verhältnis zu den Niederlanden (seit dem 14.12.1962), zu Frankreich (seit dem 1.7.1963), der Schweiz (seit dem 17.1.1965), Portugal (seit dem 3.2.1969), Belgien (seit dem 25.10.1970), der Türkei (seit dem 28.4.1972), Liechtenstein (seit dem 18.2.1973), Spanien (seit dem 25.5.1974) und Japan (seit dem 19.9.1977).
Rz. 333
Wegen des Vorrangs des Haager Unterhaltsprotokolls (HUntProt; siehe Rdn 279 ff.) gilt das HKindUntÜ heute nur noch im Verhältnis zum chinesischen Sonderverwaltungsgebiet Macao und zu Liechtenstein. Bei der Geltendmachung von nicht dem Geltungsbereich der HKindUntÜ unterfallenden Ansprüchen – bspw. nachehelichen Unterhalts – gilt nach Heiderhoff auch im Verhältnis zu Macao und Liechtenstein das HUntProt.
Rz. 334
Aufgrund von Art. 18 des Haager Übereinkommens über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht vom 2.10.1973 (HUntÜ; siehe Rdn 327) ging dieses Übereinkommen dem HKindUntÜ vor. Das HKindUntÜ war somit nur im Verhältnis zu solchen Vertragsstaaten anwendbar, die selbst nicht das HUntÜ ratifiziert hatten, womit die praktische Bedeutung des Abkommens gering war.
Rz. 335
Abweichend von den Bestimmungen des Art. 1 HKindUntÜ kann nach Art. 2 HKindUntÜ (entsprechend Art. 15 HUntÜ; siehe Rdn 319) jeder Vertragsstaat sein eigenes Recht für anwendbar erklären (Vorbehaltsklausel – kumulativer Vorrang),
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wenn der Unterhaltsanspruch vor einer Behörde dieses Staates erhoben wird, |
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wenn die Person, gegen die der Anspruch erhoben wird, und das Kind die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzen und |
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wenn die Person, gegen die der Anspruch erhoben wird, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat. |
Rz. 336
Den Vorbehalt nach Art. 2 HKindUntÜ hatten außer der Bundesrepublik Deutschland Belgien, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Österreich, die Schweiz und die Türkei erklärt. So bestimmte Art. 1 lit. a des deutschen Zustimmungsgesetzes vom 24.10.1956 i.d.F. des Ergänzungsgesetzes vom 2.6.1972, dass auf Unterhaltsansprüche deutscher Kinder deutsches Recht Anwendung findet, wenn die Voraussetzungen des Art. 2 HKindUntÜ vorliegen, mithin der Verpflichtete gleichermaßen deutscher Staatsangehöriger ist und seinen Aufenthalt in Deutschland hat.
Rz. 337
Art. 3 HKindUntÜ normiert eine Verweisung auf die "innerstaatlichen Kollisionsnormen" (IPR des Forumstaates) für den Fall, dass das Recht am "gewöhnlichen Aufenthalt" des Kindes keinen Anspruch vorsieht.
Rz. 338
Hinweis: Allerdings ergibt sich ein Unterschied im Falle der Vorfragenanknüpfung, da die Vorfrage nach der "Vaterschaft" nach dem HKindUntÜ nicht gesondert angeknüpft wird. Die Vorfrage nach der Vaterschaft ist vielmehr Teil der Hauptfrage nach der Unterhaltsberechtigung und beurteilt sich damit unmittelbar nach dem auch für den Unterhaltsanspruch maßgeblichen Recht.