A. Vorbemerkung

 

Rz. 1

Aufgrund der vielfältigen Unterschiede der Rechtsordnungen im Hinblick auf das nationale Familienrecht hat es die Staatengemeinschaft unternommen, durch die Schaffung internationaler Verträge[1] eine Kooperation und Koordination in Bezug auf entsprechende grenzüberschreitende Sachverhalte zu schaffen, die in nicht wenigen Fällen auch in den Nationalstaaten vielfältige Reformen nach sich gezogen haben. Eine Gleichförmigkeit der nationalen Familienrechte geht damit jedoch nicht einher.[2]

 

Rz. 2

Insbesondere der Brüssel IIa-Verordnung (EUEheVO 2003; siehe Rdn 3 ff.) kommt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Bedeutung zu ("bedeutsamstes verfahrensrechtliches Regelungswerk im internationalen Familienrecht").[3] Sie vereinheitlicht in nicht unerheblichem Umfang die Regelungen über das anwendbare Verfahrens- und Vollstreckungsrecht in Familiensachen sowie die Anerkennung von familienrechtlichen Entscheidungen innerhalb Europas. Auch die VO (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.6.2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen schützt das Familienleben flankierend. Die am 30.1.2009 in Kraft getretene Unterhaltsverordnung (Rdn 199 ff.) enthält kein eigenständiges Kollisionsrecht und verweist in ihrem Art. 15 (Rdn 204) diesbezüglich auf das Haager Unterhaltsprotokoll (HUntProt, Rdn 279 ff.), mit dem seit dem 18.6.2011 (auch) in den Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme Dänemarks und des Vereinigten Königreichs) das auf solche Unterhaltspflichten anzuwendende Recht harmonisiert worden ist, die sich aus Beziehungen der Familie, Verwandtschaft, Ehe oder Schwägerschaft ergeben, einschließlich der Unterhaltspflichten gegenüber einem Kind (ungeachtet des Familienstandes seiner Eltern). Mit der Rom III-VO (Rdn 156 ff.) ist das für die Ehescheidung und die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes geltende Kollisionsrecht in einer Vielzahl der EU-Mitgliedstaaten harmonisiert worden. Mit den europäischen Güterrechtsverordnungen (EUGüVO/EUPartVO) ist das Güterrecht der Ehegatten/eingetragenen Partner in den an der Verstärkten Zusammenarbeit teilnehmenden Mitgliedstaaten der EU zum 29.1.2019 vereinheitlicht worden.

[1] Vgl. dazu grundsätzlich Schulze, Die EU-Verordnungen unter dem Arbeitstitel "Rom", AD LEGENDUM 3/2015, 184.
[2] Vgl. Dethloff, Familienrecht in Europa – Quo vadis?, NJW 2018, 23.
[3] NK-BGB/Gruber, EheVO 2003, Vorbem. Rn 1.

B. Quellen des Europäischen und Internationalen Familienrechts

I. Die Brüssel IIa-Verordnung (EUEheVO 2003)

1. Historie: Vom Brüssel II-Abkommen über die Brüssel II-Verordnung zur Brüssel IIa-Verordnung

 

Rz. 3

Am 28.5.1998 war das EU-Übereinkommen über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen (sog. Brüssel II-Abkommen)[4] unterzeichnet worden. Dieses wurde jedoch aufgrund des Inkrafttretens der Brüssel II-Verordnung (siehe Rdn 4) nie ratifiziert.

 

Rz. 4

Ihm folgte die Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten vom 29.5.2000 (sog. Brüssel II-Verordnung – Europäische Ehe- und Sorgerechts-Verordnung – EheVO 2000),[5] die am 1.3.2001 in Kraft trat und in der Kontinuität der bei den Verhandlungen über das Brüssel II-Abkommen erzielten Ergebnisse stand (vgl. Erwägungsgrund Nr. 6 der Brüssel II-Verordnung). Das Brüssel II-Abkommen und die Brüssel II-Verordnung wiesen inhaltlich keine relevanten Unterschiede auf.[6]

 

Rz. 5

Die Brüssel II-Verordnung hatte jedoch selbst auch keinen langen Bestand: Sie ist Ende Februar 2005 außer Kraft getreten und durch die "Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000" (sog. Brüssel IIa-Verordnung [Europäische Ehe- und Sorgerechts-Verordnung] – fortan: EUEheVO 2003)[7] ersetzt worden (vgl. Art. 71 Abs. 1 EUEheVO 2003 und deren Erwägungsgrund Nr. 28).

 

Rz. 6

Die EUEheVO 2003 (die zum 1.8.2004 in Kraft getreten ist, Art. 72 S. 1) findet gem. Art. 72 S. 2 i.V.m. Art. 64 grundsätzlich auf Verfahren und öffentliche Urkunden/Vereinbarungen Anwendung, die nach dem 1.3.2005 eingeleitet, aufgenommen oder getroffen wurden. Ausnahmsweise ermöglicht Art. 64 Abs. 2 und 3 EUEheVO 2003 nach Maßgabe der dort normierten Voraussetzungen eine Anwendung der Verordnung auch auf die Vollstreckung von Entscheidungen, die in vor dem eigentlichen Inkrafttreten eingeleiteten oder abgeschlossenen Verfahren ergangen sind.

 

Rz. 7

Am 1.3.2005 ist in Deutschland (mit Ausnahme der §§ 12 Abs. 3 und 47 Abs. 2 IntFamRVG, die bereits zum 1.2.2005 in Kraft getreten sind) das am 31.1.2005 verkündete "Gesetz zur Aus- und Durchführung bestimmter Rechtsinstrumente auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts (Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz – IntFamRVG)" vom 26.1.2005[8] in Kraft getreten. Es dient nach seinem § 1 Nr. 1 u.a. der Durchführung der EUEheVO 2003 (vgl. auch § 56 IntFamRVG, der Übergangsvorsch...

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