Rz. 18
Zentraler Punkt bei der Regelung der Erbengemeinschaft war die Wahl zwischen der deutschrechtlichen Gesamthandschaft und der römisch-gemeinrechtlichen Bruchteilsgemeinschaft. Beide Systeme mussten nicht nur in der Theorie gegeneinander abgewogen werden. Es lagen auch Erfahrungen aus dem künftigen Geltungsbereich des BGB vor: Im preußischen Allgemeinen Landrecht und im Österreichischen Gesetzbuch wurde die gesamthänderische Lösung, in der "Mehrzahl der Rechte" (etwa Bayern, Württemberg, Sachsen) die Bruchteilsgemeinschaft gewählt.
Rz. 19
Bei der Begründung des 1. Entwurfs des BGB wurden beide Alternativen ausführlich und kritisch einander gegenübergestellt. Es scheint, als sei versucht worden, zwischen zwei Übeln das kleinere ausfindig zu machen. Nachteilig bei der Bruchteilsgemeinschaft sei, dass ein Miterbe, der eine Nachlassschuld voll bezahlt hat, aus dem Nachlass keinen Ersatz erlangen könne. "Dazu tritt der schon erwähnte Übelstand, daß die Gläubiger des Erblassers ohne ihr Zutun statt eines Schuldners eine große Anzahl von Schuldnern erhalten, wenn eine große Anzahl von Miterben vorhanden ist, und daß dadurch eine Forderung erheblich im Werte verringert werden kann." Darin liege etwas "Anormales".
Bei der Gesamthandschaft sei ein einzelner Miterbe gehindert, über Nachlassgegenstände zu disponieren, wolle er nicht über seinen Erbteil insgesamt verfügen. Seine Verfügungsgewalt sei "auf kürzere oder längere Zeit gänzlich gelähmt". Die gemeinschaftliche Geltendmachung von erbschaftlichen Ansprüchen bereite große Schwierigkeiten. Für die Auseinandersetzung sei "eine weitgehende Tätigkeit des Nachlaßgerichts sowie ein umständliches und kostspieliges Verfahren notwendig".
Schließlich spreche "für das gemeine Recht, daß es zu einer Vereinfachung der Rechtsverhältnisse und zu einer klaren Rechtslage führt, obschon es für gewisse Fälle nicht alle Schwierigkeiten beseitig". Das Ergebnis – womöglich auch auf den Einfluss des Kommissionsmitgliedes und Pandektisten Windscheid zurückgehend: "Der Entwurf folgt dem gemeinen Rechte." Es wurde formuliert: "Sind mehrere Erben vorhanden, so gehen die einzelnen Rechte und Verbindlichkeiten kraft Gesetzes auf die Erben nach Verhälthniß der Erbtheile über."
Rz. 20
Der erste Entwurf wurde insbesondere von Rechtgelehrten und von Vertretern der Gebiete kritisiert, in denen das deutschrechtliche Prinzip der Erbengemeinschaft galt. In den Protokollen wurde festgehalten: "Die Vorteile und Nachteile hielten sich bei der Erbengemeinschaft ungefähr die Waage. … Das wesentliche Moment für die Erbengemeinschaft liege in dem Interesse der Nachlaßgläubiger." Diese seien nach dem römisch-gemeinen Recht weniger geschützt. Inwieweit noch andere als rechtsdogmatische – etwa politische – Gründe für den Wechsel zur gesamthänderischen Erbengemeinschaft verantwortlich waren, ist aus den Protokollen nicht zu entnehmen. Die Nachteile der Erbengemeinschaft wurden gesehen: "Für die Miterben selbst liege der Nachteil in der Beseitigung der freien Verfügung jedes einzelnen über seinen Anteil an den Erbschaftsgegenständen und in der statt dessen bestehenden Abhängigkeit von der Mitwirkung der übrigen Miterben, welche vielleicht unbekannt oder schwer zu erreichen oder auch böswillig seien." Im Ergebnis fiel die Wahl zugunsten des deutschrechtlichen Modells der Erbengemeinschaft aus.
Rz. 21
Die weiteren in den Kommissionen beratenen Fragen zur Erbengemeinschaft waren weniger richtungsweisend. So wurde hinsichtlich der Regelung von Verfügungen über Anteile an der Erbengemeinschaft, das Vorkaufsrecht, die Teilung der Früchte, über Nuancen und rechtstechnische Fragen gestritten.
Gegen die Möglichkeit eines einzelnen Miterben, Forderungen für die Gemeinschaft gerichtlich geltend zu machen, wurde – erfolglos – der Einwand erhoben, es bestehe ein "innerer Widerspruch", wenn die klageweise Geltendmachung möglich sei, das "weit weniger intensive Recht der Kündigung und Mahnung" aber versagt werde.
Aus den Erfahrungen mit dem preußischen Recht erwuchs Kritik an der Erbteilungsklage. Erfolgverheißende Anträge seien schwer zu stellen. Daher solle der Prozessrichter nicht an die Anträge der Parteien gebunden sein und die Teilung "nach Zweckmäßigkeits- und Billigkeitsrücksichten" vornehmen können. Dies wurde abgelehnt: "Die Richter im Amtsgerichtsprozesse und die Anwälte im Anwaltsprozesse würden dafür sorgen, daß die richtigen Anträge gestellt würden. Neben dem prinzipalen Antrage auf eine gewisse Art der Teilung werde event. stets der Antrag auf Verkauf gestellt werden können, man werde keine Klageänderung darin finden dürfen, wenn die im Antrage begehrte Art der Teilung nachträglich anders bestimmt werde."
Eingehend wurden auch der Umfang der Ausgleichungspflicht, die Probleme der Haftung der Miterben sowie die Zwangsvollstreckung bei einer Erbengemeinschaft diskutiert.
Rz. 22
Eher einer Fußnote der Geschichte gleicht die Auseinander...