Rz. 23
Wesentliche Änderungen erfuhr das Recht der Erbengemeinschaft im Dritten Reich nicht. In seiner Anwendung wird es im Einzelfall genauso der nationalsozialistischen Ideologie unterworfen worden sein wie andere Rechtsgebiete. Auch das Zivilrecht war im Dritten Reich keine "Insel der Reinheit", was spätestens durch die Untersuchung von Zivilrechtsurteilen durch Rainer Schröder belegt ist. Juden und andere Verfolgte wurden entweder durch direkte Eingriffe benachteiligt oder Entscheidungen zu ihren Lasten wurden über das Einfallstor der unbestimmten Rechtsbegriffe begründet, aber auch unter Berufung auf die "völkische Ordnung" mit der Aufforderung an Richter, "als Sachwalter der höchsten Grundsätze unseres Gemeinschaftslebens das Gesetz nicht nur zu ergänzen, sondern zu korrigieren". Dogmatisch untermauert wurde solch ein Vorgehen durch Rechtswissenschaftler wie Karl Larenz und Carl Schmitt.
Rz. 24
Das Bürgerliche Gesetzbuch sollte im Dritten Reich durch ein "Volksgesetzbuch" ersetzt werden. Durch den Zweiten Weltkrieg rückte dieses Vorhaben aber in den Hintergrund und wurde nicht verwirklicht. Gleichwohl gab es zumindest in den 30er Jahren Diskussionen über die Um- und Neugestaltung des Zivilrechts, auch des Erbrechts und damit des Rechts der Erbengemeinschaft.
Rz. 25
Eine "Denkschmiede" im Dritten Reich war die "Akademie für Deutsches Recht". Ihr Präsident war der berüchtigte Reichsminister Hans Frank. Vorsitzende des Erbrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht war bis zu seinem Ausscheiden 1939 Heinrich Lange. Der Name ist heute noch aufgrund des seit der zweiten Auflage von Kurt Kuchinke weitergeführten Erbrechtslehrbuches bekannt. Lange war seit dem Jahr 1939 Professor in München. Er legte 1940 die 4. Denkschrift des Erbrechtsausschusses vor, in welcher er den Abschnitt zur "Erbunfähigkeit und Erbunwürdigkeit" selbst bearbeitet hatte.
Rz. 26
Zur "Miterbengemeinschaft" fasste Landgerichtsrat Dr. Horst Bartholomeyczik die Diskussion und Beschlüsse des Erbrechtsausschusses zusammen. Auch er nahm nationalsozialistisches Gedankengut auf.
In den "Grundsätzen des völkischen Gemeinschaftslebens" zum Entwurf des Volksgesetzbuches hieß es: "Das Erbrecht wahrt zum Wohl der Familie und des Volkes die von dem Erblasser erarbeiteten und überkommenen Güter. Verfügungen von Todes wegen genießen Schutz, soweit sie mit diesem Ziel vereinbar sind."
Bartholomeyczik betont die Bedeutung der Erbengemeinschaft zum Erhalt "wertvollen Familiengutes": "Denn die Volksgemeinschaft ist an der Stärkung des Familiengedankens besonders interessiert, weil die Familie ihr Kern ist."
Zentraler, von Bartholomeyczik vorgetragener Vorschlag des Erbrechtsausschusses war die Einführung eines "gestaltenden Teilungsverfahrens". Aufgegriffen wurde die auch heutzutage vorhandene Kritik an dem Teilungsverfahren nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Erfahrene Juristen berichten noch heute in Seminaren, eine schon im ersten Hauptantrag begründete Auseinandersetzungsklage hätten sie noch nicht gesehen.
Nach Bartholomeyczik war die Neuordnung "geboten, damit nicht die Wahrung der übergeordneten Interessen der Erbengemeinschaft am Widerspruch des einzigen Querkopfes und an der Unvollkommenheit der Teilungsregeln scheitert."
Rz. 27
Ideologisch weniger problematisch war die vorgeschlagene zentrale Stellung des Nachlassrichters. Ihm sollte regelmäßig die Auseinandersetzung obliegen. Er sollte den Nachlass dazu in Besitz nehmen. Zur Vorbereitung sollte er sich eines "Erbschaftsverwalters" bedienen können. Soweit sieht das Verfahren nach einer Art staatlichen Testamentsvollstreckung auch für Fälle der gesetzlichen Erbfolge aus. Sie ist mit dem probate-Verfahren der USA zu vergleichen, in dem das Nachlassgericht einen "executor" oder "administrator" bestimmt.
Problematisch ist die im Ergebnis aufgehobene Bindung des Nachlassrichters an eine letztwillige Verfügung und sogar an die gesetzlichen Vorgaben. Er hat bei der Verteilung "freies Ermessen". Zur Erhaltung von Familienbesitz kann der Nachlassrichter gegen den Widerspruch einzelnen Erben bestimmte Gegenstände ganz zuteilen. Die für das nationalsozialistische Rechtsdenken typische Unbestimmtheit sollte mit der ebenso kennzeichnenden Machtfülle des Staates einhergehen: "Die erweiterte Machtbefugnis des Nachlaßrichters gestattet es, die gesetzliche Erbfolge verhältnismäßig knapp, nur für den Regelfall bestimmt, zu regeln, weil es dem Nachlaßrichter überlassen bleibt, den besonderen Familien- und Erbverhältnissen noch in der Auseinandersetzung gerecht zu werden." Bartholomeyczik fasste zusammen: "Mit diesen … Grundsätzen ist die Hauptforderung der nationalsozialistischen Rechtserneuerung auf dem Gebiete des Erbrechts erfüllt."