Rz. 39

Die fachlichen Anforderungen an einen Testamentsvollstrecker sind von Fall zu Fall unterschiedlich: So spielen wirtschaftliche Fragen teilweise kaum eine Rolle, z.B. wenn der Nachlass lediglich aus liquidem Vermögen besteht. Hier mag die Zerstrittenheit der Erbengemeinschaft der Grund dafür sein, weshalb eine Auseinandersetzungsvollstreckung angeordnet wurde. Der Testamentsvollstrecker wird sich dann auf die eher schwierig zu handhabenden Ausgleichungsvorschriften nach §§ 2050 ff. BGB konzentrieren, also vornehmlich im rechtlichen Bereich tätig sein.

In anderen Fällen wird der Testamentsvollstrecker die Aufgabe haben, im Rahmen einer Dauervollstreckung das Vermögen der minderjährigen Erben neu zu strukturieren, laufende Erträgnisse für den Lebensunterhalt zu generieren und an die Begünstigten auszuschütten sowie den Nachlass bei Erreichen eines vorgegebenen Alters der Erben auszukehren. Bei einer derartigen Aufgabengestaltung stehen sicherlich wirtschaftliche Kenntnisse im Vordergrund.

 

Rz. 40

Gleichwohl geht das Gesetz davon aus, dass eine besondere Qualifikation des Testamentsvollstreckers für seine Aufgabenerfüllung nicht erforderlich ist[44] – weder eine wirtschaftliche noch eine rechtliche.

Jeder, der sich mit dem Gedanken trägt, seinen Mandanten eine qualitativ hochwertige Testamentsvollstreckung anzubieten, sollte u.E. den zeitlichen Aufwand für eine vernünftige Aus- und Fortbildung in diesem Bereich nicht scheuen. Sicherlich mag es "Testamentsvollstrecker-Crash-Kurse" geben, die es ermöglichen, in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum ein "Zertifikat" zu erlangen, das vom Veranstalter selbst stammt. Es besteht jedoch die Gefahr, dass sich der Testamentsvollstrecker, der ein solches Zertifikat führt, wettbewerbswidrig verhält. Sofern in der Bezeichnung nicht zum Ausdruck kommt, dass die Zertifizierung nur für Mitglieder erfolgt oder ein von der gleichen Institution angebotener kostenpflichtiger Lehrgang die Grundlage dieses Zertifikatrats darstellt, ist die Werbung irreführend. Gleiches gilt, wenn die Lehrgänge nicht eine gewisse Länge und einen gewissen Schwierigkeitsgrad aufweisen.[45]

 

Rz. 41

Bis zu dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11.11.2004 war die Testamentsvollstreckung nahezu ausschließlich den Rechtsanwälten und Notaren vorbehalten. Seither steht fest, dass die erbrechtlichen Vorschriften des BGB keine besonderen Anforderungen an die Qualifikation eines Testamentsvollstreckers vorsehen. Erst recht setzen sie keine "Berufserfahrung" als Testamentsvolltrecker voraus. Jedermann kann Testamentsvollstreckungen übernehmen.

Ein von der AGT zertifizierter Testamentsvollstrecker unterscheidet sich von einem "Jedermann-Vollstrecker" nicht nur durch den Nachweis durch die Verpflichtung zur Fortbildung ständig sich festigender theoretischer Kenntnisse und das Vorliegen einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung, sondern auch durch seine individuellen praktischen Fertigkeiten. Bei einem Richter, Notar, Rechtsanwalt, Steuerberater, vereidigten Buchprüfer, verkammerten Rechtsbeistand oder Certified Estate Planner werden die für eine Testamentsvollstreckung notwendigen praktischen Fertigkeiten vermutet, wenn er mindestens seit zwei Jahren in seinem Beruf tätig ist. Dies liegt darin, dass diese Berufsgruppen tagtäglich mit der Lösung praktischer Aufgabenstellungen zu tun haben, wie sie auch bei Testamentsvollstreckungen häufig anstehen. Diese Auffassung hat Kritik erfahren.

 

Rz. 42

So hat der Bundesgerichtshof am 9.6.2011[46] entschieden, dass eine zweijährige Berufstätigkeit als Rechtsanwalt, Notar oder Richter nicht genügt, um neben der Bezeichnung "Testamentsvollstrecker (AGT)" auch den Zusatz "Zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT e.V.)" führen zu dürfen. Vielmehr seien praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung erforderlich, wobei deren genauer Umfang noch klärungsbedürftig ist. Zwei Vollstreckungen sollen jedenfalls dann nicht ausreichen, wenn sie sich nach Art und Umfang nicht von einer üblichen Testamentsvollstreckung unterscheiden.

 

Rz. 43

 

Zu den Urteilsgründen des BGH in der Zertifizierungsentscheidung vom 9.6.2011 (I ZR 113/10)

von Eberhard Rott vom 30.11.2011[47]

Der offizielle Leitsatz der Entscheidung des BGH vom 9.6.2011 (I ZR 113/10) liegt nun vor. Er lautet: "Der Verkehr erwartet von einem Rechtsanwalt, der sich als "zertifizierter Testamentsvollstrecker" bezeichnet, dass er nicht nur über besondere Kenntnisse, sondern auch über praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung verfügt." Wie umfassend die "praktischen Erfahrungen auf dem Gebiet der Testamentsvollstreckung" im Einzelfall sein müssen, hat der BGH offen gelassen. Der BGH geht von einer nach Art und Umfang "üblichen" Testamentsvollstreckung[48] aus (vgl. Urteilsgründe Rn 17), ohne im Einzelnen darzulegen, was er hierunter versteht. Es liegt nahe, hier an den gesetzlichen Regelfall der Abwicklungsvollstreckung nach §§ 2203, 2204 BGB anzuknüpfen. Dafür sprechen die Ausführungen des Bun...

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