Rz. 93

M und F (frühere Lebensgefährtin/geschiedene Ehefrau des M) haben zwei gemeinsame Kinder, und zwar das 16-jährige Kind K1 und das 10-jährige Kind K2. K1 lebt beim Vater, K2 lebt bei der Mutter. Das bereinigte Nettoeinkommen des M beträgt monatlich 2.500 EUR, das der F 1.900 EUR. Jeder Elternteil bezieht das Kindergeld für das von ihm betreute Kind (vgl. § 64 EStG). M und F haben keine weiteren Unterhaltspflichten, insbesondere ist M gegenüber F nicht zum Unterhalt verpflichtet. K2 verlangt Unterhalt von M.

I. Anspruchsgrundlage für Kindesunterhalt

 

Rz. 94

Zur Anspruchsgrundlage vgl. Fall 1 (siehe Rdn 1 ff.).

II. Barunterhaltspflicht

 

Rz. 95

Bezüglich K1, der bei M lebt, erfüllt M seine Unterhaltspflicht durch die Erziehung und Pflege, so dass für K1 keine Barunterhaltspflicht besteht.

 

§ 1606 Rangverhältnis mehrerer Pflichtiger

(…) (3) (…) Der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, erfüllt seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes.

 

Rz. 96

Bezüglich K2, der von F betreut wird, ist der Unterhalt wie üblich zu berechnen. Die Unterhaltsansprüche sind nicht zu verrechnen. Dies versteht sich von selbst, wenn man bedenkt, dass Anspruchsinhaber jeweils das Kind ist und ein Elternteil nur im Falle des § 1629 Abs. 3, also typischerweise bei Trennung und Scheidung, den Kindesunterhalt im eigenen Namen geltend machen kann (gesetzliche Verfahrensstandschaft):

 

§ 1629 Vertretung des Kindes

(…)

(2) (…) Steht die elterliche Sorge für ein Kind den Eltern gemeinsam zu, so kann der Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil geltend machen. (…)

(3) Sind die Eltern des Kindes miteinander verheiratet, so kann ein Elternteil, solange die Eltern getrennt leben oder eine Ehesache zwischen ihnen anhängig ist, Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den anderen Elternteil nur im eigenen Namen geltend machen. Eine von einem Elternteil erwirkte gerichtliche Entscheidung und ein zwischen den Eltern geschlossener gerichtlicher Vergleich wirken auch für und gegen das Kind.

III. Bedarf

 

Rz. 97

Der Bedarf von Kindern richtet sich nach der Düsseldorfer Tabelle (DT). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Fall 1 (siehe Rdn 1 ff.) verwiesen. Ein Ehegattenunterhaltsanspruch besteht im Fallbeispiel nicht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere ist nochmals auf Folgendes hinzuweisen:

 

BGH, Beschl. v. 29.9.2021 – XII ZB 474/20 Rn 32

(a) Der Bedarf bemisst sich beim Kindesunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Kindes, die es regelmäßig bis zum Abschluss seiner Ausbildung von den Eltern ableitet. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kommt es auch beim Unterhalt minderjähriger Kinder auf die Lebensstellung beider Eltern an (Senatsbeschluss BGHZ 227, 41 = FamRZ 2021, 28 Rn 14), …

 

Hinweis

Da nur die Zahlungspflichten in Bezug auf Minderjährigenunterhalt hier von Bedeutung sind und die Haftung hierfür ohnehin auf den Bedarf begrenzt ist (vgl. nur BGH Beschl. v. 15.2.2017 – XII ZB 201/16 Rn 13), der sich aus dem jeweiligen Einkommen – und nicht aus dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile – ergibt, ist es vorliegend und in vielen Fällen gerechtfertigt, den Bedarf nur anhand des Einkommens des Barunterhaltspflichtigen zu ermitteln.[23] Bedeutung erlangt der aus dem zusammengerechneten Einkommen der Eltern ermittelte Barunterhaltsanteil des betreuenden Elternteils – er leistet diesen in Form von Naturalunterhalt –, wenn daneben ein Ehegattenunterhaltsanspruch besteht. Denn diese Unterhaltsverpflichtung reduziert das Einkommen des unterhaltsberechtigten Elternteils (BGH Beschl. v. 15.2.2017 – XII ZB 201/16 Rn 14), was zu einer Erhöhung des Ehegattenunterhalts führen kann. Für diesen Bereich des Minderjährigenunterhalts sollte jedoch im Hinblick auf die Praxistauglichkeit der Berechnungsweisen eine Einschränkung erwogen werden: eine relevante Naturalunterhaltsleistung des betreuenden Elternteils sollte nur in den Fällen bejaht werden, in denen der betreuende Elternteil ein bereinigtes Einkommen über 1.400 EUR (angemessener Selbstbehalt) hat.

 

Rz. 98

M hat ein bereinigtes Nettoeinkommen von 2.500 EUR. Es kommt deshalb grundsätzlich die Einkommensgruppe 3 (bis 2.301 bis 2.700 EUR) zur Anwendung.

[23] Als "abgekürzte Unterhaltsermittlung" wird dies bezeichnet bei Wendl/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, § 2 Rn 206 ff.

1. Nur ein barunterhaltsberechtigtes Kind K2

 

Rz. 99

Es ist nur ein gegenüber M barunterhaltsberechtigtes Kind (K2) vorhanden.

Dem von ihm betreuten Kind K1 schuldet M keinen Barunterhalt. Bezüglich K1 besteht vielmehr eine Barunterhaltspflicht der F.

 

SüdL

Kindesunterhalt

11. (…)

11.2 Die Tabellensätze sind auf den Fall zugeschnitten, dass der Unterhaltspflichtige zwei Unterhaltsberechtigten Unterhalt zu gewähren hat. Bei einer größeren oder geringeren Anzahl Unterhaltsberechtigter sind i.d.R. Ab- oder Zuschläge durch Einstufung in eine niedrigere oder höhere Einkommensgruppe vorzunehmen. Zur Eingruppierung können auch die Bedarfskontrollbeträge herangezogen werden.

Vgl. auch Nr. 11.2 der im E...

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