Dr. Christoph Lichtenberg
Rz. 29
Wie eingangs (siehe Rdn 10) bereits erwähnt, stellen die im Auftrags-Leistungsverzeichnis angegebenen Vordersätze im Rahmen eines Einheitspreisvertrages lediglich eine Schätzung dar; der Abrechnungsbetrag ergibt sich aus den tatsächlich ausgeführten Massen. Grundsätzlich bietet eine Änderung der Massen gegenüber den ausgeschriebenen also keinen Anlass für einen Nachtrag, sondern die Vergütung ändert sich automatisch entsprechend der ausgeführten Menge (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B).
Rz. 30
Das sieht dann anders aus, wenn sich die Massen gegenüber der Ausschreibung in einem so starken Maße ändern, dass das Kalkulationsgefüge des Unternehmers nicht mehr "passt". Diese Grenze gibt für den Einheitspreisvertrag § 2 Abs. 3 Nr. 2 und 3 VOB/B vor: Änderungen von mehr als 10 % geben den Parteien das Recht, eine Preisanpassung – gemeint ist die Anpassung des jeweiligen Einheitspreises – vorzunehmen. Bei Änderungen in dieser Größenordnung kann es z.B. zu Änderungen in den Einkaufspreisen des Unternehmers kommen, oder aber das Logistik-Konzept muss angepasst werden. In erster Linie geht es jedoch darum, dass die Preisbestandteile, die nicht positionsbezogen sind, aber üblicherweise in Form von Zuschlägen auf die Einheitspreise umgelegt werden (Allgemeine Geschäftskosten, Baustellengemeinkosten, Wagnis und Gewinn) auf Basis der ausgeschriebenen Mengen kalkuliert werden, sodass es nun zu Unter- oder Überdeckungen kommen kann.
Rz. 31
Voraussetzungen für den Anspruch auf Preisanpassung nach § 2 Abs. 3 VOB/B sind lediglich die tatsächliche, über 10 % hinausgehende Mengenänderung sowie die Geltendmachung des Rechts. Irgendein Mitwirken des Auftraggebers, vor allem eine Anordnung, ist nicht erforderlich; im Gegenteil – sofern die Mengenänderung auf einer Anordnung beruht, sind die Regelungen von § 2 Abs. 5, 6 VOB/B anzuwenden. § 2 Abs. 3 VOB/B gelangt daher nur dann zur Anwendung, wenn sich die ausgeführten Mengen infolge der Umstände geändert haben. Soweit es in der Regelung heißt, dass der neue Preis auf Verlangen "zu vereinbaren" ist, führt dies nicht zu einer weiteren Anspruchsvoraussetzung. Die "Vereinbarung" ist in der Praxis nicht erforderlich; es handelt sich lediglich um eine ungeschickte Formulierung.
Rz. 32
Ein bestimmter Zeitpunkt für die Geltendmachung der Anpassung, also das "Verlagen", ist nicht vorgegeben. Begrenzt wird die Möglichkeit nur durch die allgemeinen Grundsätze der Verwirkung; diese setzt aber zumindest die Bezahlung der Vergütung als Umstandsmoment voraus.
Rz. 33
§ 2 Abs. 3 VOB/B behandelt dabei die Erhöhung der Massen gegenüber der Ausschreibung und deren Verringerung unterschiedlich:
Rz. 34
Gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B ist für die 110 % überschreitenden Mengen ein neuer Preis unter Berücksichtigung der Mehr- oder Minderkosten zu bilden. Daraus folgt:
Rz. 35
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Es gibt als Folge der Anpassung für die gleiche Leistung zwei Preise, nämlich den vertraglichen Preis für die Massen bis 110 % (dieser bleibt unverändert) und den neuen Preis für die darüber hinausgehenden Massen. |
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Es sind auch eventuelle Minderkosten zu berücksichtigen, z.B. infolge verringerter Einkaufspreise oder die bessere Ausnutzung nicht ausgelasteter Geräte. |
Rz. 36
Gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 VOB/B ist bei einer Unterschreitung der Massen um mehr als 10 % der betroffene Einheitspreis zu erhöhen, sofern der Auftragnehmer nicht an anderer Stelle einen Ausgleich erhält. Daraus folgt:
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Infolge der Anpassung wird es nur einen neuen Preis geben, mit welchem die ausgeführten Massen abgerechnet werden. |
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Es findet lediglich eine Preiserhöhung zugunsten des Auftragnehmers statt; eine Verringerung kann nicht verlangt werden. |
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Es findet eine Ausgleichsberechnung statt (die im Grunde erst am Ende der Baumaßnahme möglich ist). Hintergrund ist, dass dem Auftragnehmer aus der Mengenänderung kein Nachteil hinsichtlich seiner Deckungsbeiträge erwachsen soll; wird dies aber auf andere Weise erreicht, soll das nicht den Auftraggeber belasten. Die Ausgleichsberechnung bezieht sich ausschließlich auf das konkrete Bauvorhaben. |
Rz. 37
Im Übrigen sind in beiden Fällen die durch die Umstände bedingten Auswirkungen sowohl auf die Einzelkosten der Teilleistungen als auch auf die Baustellengemeinkosten, die Allgemeinen Geschäftskosten sowie auf Wagnis und Gewinn zu berücksichtigen.
Rz. 38
Für die Ermittlung des neuen Preises war nach der ehemals absolut herrschenden Meinung das Preisgefüge des Vertragspreises zu berücksichtigen. Von bestimmten Ausnahmefällen abgesehen war daher auch ein eventueller Kalkulationsfehler des Auftragnehmers fortzuschreiben. Nicht fortzuschreiben waren (und sind) hingegen auch nach der damaligen Auffassung spekulativ extrem überhöhte Einheitspreise. In dieser Situation wird widerleglich vermutet, dass der Auftragnehmer die Besonderheiten des Bauvertrags in verwerflicher Weise ausgenutzt hat. Die Vergütung für die über 110 % hinausgehenden Mengen kann sich dann nach den üblichen Preisen bemesse...