Dr. Christoph Lichtenberg
Rz. 42
Bei den meisten Bauvorhaben kommt es im Laufe der Arbeiten neben den in § 2 Abs. 3 VOB/B abgehandelten Änderungen der Massen aufgrund der Umstände zu Änderungen der Leistungsinhalte. Diese können der Anpassung der Planung an tatsächliche Gegebenheiten dienen, aus der Korrektur von Planungs- oder Ausschreibungsfehlern folgen oder schlicht Änderungswünsche des Bauherrn darstellen.
Rz. 43
Im Rahmen des VOB-Vertrages gibt § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B dem Auftraggeber das Recht, solche Änderungen – in gewissen Grenzen – einseitig anzuordnen; der Auftragnehmer ist verpflichtet, diesen Anordnungen Folge zu leisten. Die VOB/B trägt damit dem Bedürfnis des Bauherrn Rechnung, auch nach Vertragsschluss und nach Beginn der Arbeiten seine Vorstellungen von dem geschuldeten Werk umzusetzen. Der Ausgleich für den Unternehmer, quasi der "Spiegel" dieses Anordnungsrechts, ist die in § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B geregelte Vergütungsfolge. Gem. § 2 Abs. 7 Nr. 2 VOB/B gilt dies auch im Rahmen eines Pauschalvertrages. Das ist konsequent, da der Auftraggeber durch seine Anordnung in die Kalkulationsgrundlagen des Auftragnehmers eingreift. Diese Vorschriften regeln die Rechtsfolgen der Leistungsbestimmung. Üblicherweise werden die geltend gemachten Vergütungsansprüche auf die §§ 2 Abs. 5/6 VOB/B gestützt und so die Rechtsfolgeregelungen als Anspruchsgrundlage behandelt.
Rz. 44
Nach Einführung des gesetzlichen Bauvertragsrechts zum 1.1.2018 ist fraglich, ob die Regelungen der VOB/B zu den Anordnungsrechten und der daraus folgenden Vergütungsanpassung noch wirksam sind, soweit diese Vorschriften einer isolierten Prüfung nach den Grundsätzen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen. Die neuen gesetzlichen Regelungen (siehe dazu Rdn 84 ff.) treffen nämlich sowohl zu den Anordnungsrechten als auch zur Vergütungsanpassung teils grundlegend andere Entscheidungen als die VOB/B. Es gibt somit – nunmehr – ein gesetzliches Leitbild, von welchem die Regelungen der VOB/B (= Allgemeine Geschäftsbedingungen) abweichen, wobei allerdings zu überlegen ist, ob diese Abweichung zum Nachteil des Vertragspartners des Verwenders ist. Jedenfalls aber kann man sich derzeit – Stand der VOB/B ist unverändert die Fassung von 2016 – nicht auf die Wirksamkeit der VOB/B-Regelungen zu diesem Thema verlassen bzw. man kann diese u.U. angreifen.
Rz. 45
Die Anordnung ist für die Anwendung der §§ 2 Abs. 5/6 VOB/B zwingende Voraussetzung; ohne Anordnung kommen nur die Regelungen aus § 2 Abs. 8 VOB/B in Frage. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Anordnung vielleicht konkludent erteilt wurde (siehe Rdn 48).
Rz. 46
Gem. § 1 Abs. 3 VOB/B kann der Auftraggeber Leistungsänderungen anordnen. Dabei ist äußerst streitig, wie weit das Anordnungsrecht des Auftraggebers geht. Dieser Streit hat seine Ursache im Wesentlichen in unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs "Bauentwurf" in § 1 Abs. 3 VOB/B sowie in der Erwähnung "anderer Anordnungen" in § 2 Abs. 5 VOB/B. Im Hinblick auf Änderungen des Bauinhalts ist der Streit jedoch irrelevant; von Bedeutung ist er für die Behandlung von Anordnungen zu den Bauumständen, insbesondere zur Bauzeit (siehe dazu Rdn 59 ff.).
Rz. 47
§ 1 Abs. 4 VOB/B gibt dem Auftraggeber das Recht, zusätzliche Leistungen anzuordnen, sofern diese zur Erbringung der vereinbarten Leistung erforderlich sind und der Betrieb des Auftragnehmers darauf eingerichtet ist. Wünscht der Auftraggeber darüber hinausgehende zusätzliche Leistungen, kann er diese nicht durch Anordnung erzwingen; er muss vielmehr eine (freiwillige) Vereinbarung mit dem Auftragnehmer herbeiführen.
Rz. 48
Auf die Anordnung sind die Regelungen über die rechtsgeschäftliche Willenserklärung anzuwenden. Vor allen Dingen heißt dies:
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Der Auftraggeber kann sich vertreten lassen; die Anordnung durch einen Dritten setzt jedoch rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht voraus. |
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Der Auftraggeber muss mit dem Willen handeln, eine Erklärung abzugeben. Dieser Wille muss sich allerdings nur darauf beziehen, dass der Auftraggeber eine "Befolgung heischende Aufforderung" an den Auftragnehmer richtet. Er muss sich aber weder bewusst sein, dass er gerade eine Änderung oder Zusatzleistung verlangt, noch ist sein Wille hinsichtlich der Vergütungsfolge relevant. Entscheidend ist vielmehr die objektive Folge der Anordnung. |
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Die Anordnung kann auch konkludent oder stillschweigend erfolgen. |
Rz. 49
Nach § 2 Abs. 6 Nr. 2 S. 2 VOB/B ist die geänderte Vergütung "möglichst vor der Ausführung zu vereinbaren"; nach § 2 Abs. 5 VOB/B "ist ein neuer Preis (…) zu vereinbaren. Die Vereinbarung soll vor der Ausführung getroffen werden". Während also bei § 2 Abs. 6 VOB/B bereits aus der Formulierung klar wird, dass die Vereinbarung keine Anspruchsvoraussetzung ist, klingt dies bei § 2 Abs. 5 VOB/B zunächst anders. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung entsteht der Anspruch des Unternehmers jedoch auch in diesem Fall unabhängig von einer solchen Vereinbar...