Dr. Christoph Lichtenberg
Rz. 253
In vielen Fällen wird die Abrechnung nach der gesetzlichen Vermutung jedoch für den Auftragnehmer ungünstig sein, da die Abzüge bei konkreter Berechnung weniger als 95 % der Vergütung ausmachen. Es kann sich dann lohnen, den höheren Ermittlungs- und Darlegungsaufwand auf sich zu nehmen, um die Vermutung zu widerlegen und konkret zu den Abzügen vorzutragen.
aa) Ersparte Aufwendungen
Rz. 254
Nach den gleichen Grundsätzen, nach denen der Auftragnehmer die erbrachten von den nicht erbrachten Leistungen abzugrenzen hat, muss er auch die ersparten Aufwendungen ermitteln. Auch hier verbieten sich also Schätzungen oder der Rückgriff auf übliche Sätze; die Ermittlung muss sich vielmehr auf das konkrete Bauvorhaben zu beziehen.
Rz. 255
Dabei ist für die Frage, welche Aufwendungen kündigungsbedingt entfallen sind, die Kalkulation entscheidend. Das macht es – nach den Umständen des Einzelfalls – nötig, die nicht erbrachten Leistungen in ihre kalkulativen Bestandteile aufzulösen. Ausschlaggebend für die Frage, welche Kosten darauf entfallen, sind jedoch nach der Auffassung des BGH die tatsächlich ersparten Kosten. Eventuelle kalkulative Unter- oder Überdeckungen wirken sich bei der Ermittlung also aus; das gilt zugunsten oder zu Ungunsten des Auftragnehmers. Im Fall einer massiven Unterdeckung (z.B. bei in der Kalkulation vergessenen Leistungen) kann das dazu führen, dass nicht nur kein Vergütungsanspruch für nicht erbrachte Leistungen entsteht, sondern sogar der Vergütungsanteil für die erbrachten Leistungen aufgezehrt wird. Die Grenze liegt allerdings bei Null; ein Erstattungsanspruch des Auftraggebers kann sich nicht ergeben.
Rz. 256
Für die wichtigsten Kostenbestandteile gilt Folgendes:
▪ |
Personalkosten sind nur erspart, sofern sie tatsächlich nicht angefallen sind. Das kommt in Frage, wenn der Auftragnehmer z.B. geplante Einstellungen nicht mehr vornimmt oder freie Mitarbeiter nicht beschäftigt. Eine Verpflichtung zur Kündigung von Mitarbeitern besteht hingegen nicht. |
▪ |
Nachunternehmerkosten sind auch nur insoweit erspart, wie sie nicht mehr gezahlt werden müssen. Ist der Nachunternehmer also noch nicht beauftragt oder erklärt er sich bereit, den Auftrag zu stornieren, sind die Kosten erspart. Allerdings besteht hier für den Auftragnehmer – anders als bei eigenem Personal – die Verpflichtung, zur Kostenersparnis den Nachunternehmervertrag frei zu kündigen. |
▪ |
Stoff- und Materialkosten sind im Regelfall erspart, es sei denn, sie sind schon verbindlich geordert. |
▪ |
Soweit Gerätekosten unabhängig von der Nutzung anfallen, sind sie nicht erspart. Kosten für den Betrieb der Geräte sind erspart. |
▪ |
Allgemeine Geschäftskosten sind regelmäßig nicht erspart. |
▪ |
Der Gewinn ist nie erspart. |
▪ |
Ein Wagnis-Zuschlag (soweit gesondert kalkuliert) kann erspart sein, soweit infolge der Kündigung das damit abgedeckte Risiko entfällt. |
▪ |
Die Baustellenbezogenen Gemeinkosten sind differenziert zu betrachten. Kostenbestandteile, die zeitabhängig berücksichtigt werden und deren Kosten sich wegen der verringerten Zeit reduzieren lassen, sind erspart. Für Personalkosten (Bauleiter, Polier) gilt das oben Gesagte. Einmalig kalkulierte Kosten (Auf- und Abbau etc.) sind nicht erspart. |
bb) Anderweitiger Erwerb
Rz. 257
Sofern der Auftragnehmer seine Arbeitskraft tatsächlich zum anderweitigen Erwerb einsetzen konnte oder er eine solche Gelegenheit böswillig nicht genutzt hat, muss er sich das dadurch Erlangte anrechnen lassen. Das gilt für alle Kostenfaktoren.
Rz. 258
Allerdings gilt das nur für solche Kapazitäten, die gerade infolge der Kündigung freigeworden sind. Den Abzug muss der Auftragnehmer daher lediglich bei sogenannten "echten Füllaufträgen" vornehmen oder hinnehmen. Handelt es sich hingegen um Aufträge, die er auch bei vollständiger Durchführung des gekündigten Vertrages daneben hätte abwickeln können (ohne die Kapazitäten dafür zu erhöhen), führen diese nicht zu einer Anrechnung.
cc) Darlegungs- und Beweislast
Rz. 259
Der Auftragnehmer muss zu seinen ersparten Aufwendungen und zum anderweitigen Erwerb lediglich schlüssig vortragen. Sein Vortrag muss dabei jedoch so detailliert sein und sich an den vertraglichen Grundlagen, vor allem auch der Kalkulation orientieren, dass dem Auftraggeber...