Dr. Christoph Lichtenberg
Rz. 59
Einen oftmals problematischen Fall stellen die so genannten "Beschleunigungsnachträge" dar, also die Vergütung des Auftragnehmers dafür, dass er die Leistungen in kürzerer als der nach dem Vertrag geschuldeten Zeit erbringt.
Rz. 60
In tatsächlicher Hinsicht problematisch ist in diesem Zusammenhang meist die unterschiedliche Bewertung der Bauzeit. Während der Auftraggeber oft meint, etwaig eingetretene Verzögerungen seien vom Auftragnehmer zu vertreten, wird dieser meist der Auffassung sein, dass diese Verzögerungen auf nicht von ihm zu vertretende Behinderungstatbestände zurückzuführen sind. Folge ist, dass der Auftraggeber der Meinung ist, den Auftragnehmer lediglich zur Einhaltung der vertraglich geschuldeten Bauzeit aufzufordern, wohingegen der Auftragnehmer sich aufgefordert sieht, seine Leistungen über das geschuldete Maß hinaus zu beschleunigen.
Rz. 61
Rechtlich liegt das Problem darin, dass umstritten ist,
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ob dem Auftraggeber ein Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Bauzeit zusteht und |
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wonach sich ggf. die Vergütung bestimmt. |
Rz. 62
Es wird in der Literatur zum Teil sehr vehement vertreten, dass die VOB/B kein Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers hinsichtlich der Bauzeit enthalte. Der Auftraggeber hätte also keine Möglichkeit, eine Veränderung der vertraglich vereinbarten Bauzeit einseitig zu bestimmen. Von den meisten Vertretern dieser Meinung wird dies aus dem Begriff "Bauentwurf" in § 1 Abs. 3 VOB/B geschlossen; dieser wird von den entsprechenden Autoren so ausgelegt, dass damit ausschließlich die technische Bauausführung gemeint ist.
Rz. 63
Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Auslegung zum einen keineswegs zwingend ist, zum anderen nicht interessengerecht erscheint. Genauso, wie tatsächliche Umstände oder zu spät erkannte Mängel in der technischen Planung technische Änderungen erforderlich machen – was der Grund für das Leistungsbestimmungsrecht in § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B ist – können tatsächliche Umstände oder eine unzureichende zeitliche Planung Änderungen im zeitlichen Ablauf erforderlich machen. Es wird daher vereinzelt vertreten, dass § 1 Abs. 3 oder Abs. 4 VOB/B dem Auftraggeber sehr wohl ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht auch hinsichtlich der Bauzeit gibt. Dieses muss (wie jedes einseitige Leistungsbestimmungsrecht) nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) ausgeübt werden; der Auftragnehmer ist also nicht der Willkür des Auftraggebers unterworfen. Die Grenzen sind noch unklar.
Rz. 64
Eine herrschende Meinung ist schwer festzustellen und aktuelle Rechtsprechung zu dem Thema existiert nicht. Die Einführung des § 650b BGB, welcher die zulässigen Änderungen etwas anders definiert als die VOB/B, und die Gesetzgebungshistorie sprechen nach der insoweit wohl herrschenden Meinung allerdings gegen ein Anordnungsrecht zur Bauzeit, was m.E. überzeugend ist. In der Beratung kann dennoch interessengesteuert die eine oder die andere Meinung vertreten werden, wobei das Risiko im Auge behalten werden muss, dass sich die jeweils vertretene Meinung als die unrichtige herausstellen könnte.
Rz. 65
Die Begründung des Vergütungsanspruchs ist abhängig davon, welcher der Auffassungen man folgt. Schließt man sich der Meinung an, dass ein Anordnungsrecht zur Bauzeit besteht, ergibt sich die Vergütungsfolge unkompliziert aus § 2 Abs. 5 VOB/B. Komplizierter wird es jedoch, wenn man sich der Auffassung anschließt, dass das Anordnungsrecht nicht besteht:
Rz. 66
Im besten Fall treffen die Parteien – unabhängig von der rechtlichen Bewertung – eine Vereinbarung über die Vergütung für die Beschleunigung. Dann richtet sich diese schlicht nach dem Vereinbarten.
Rz. 67
Denkbar ist auch eine konkludente Vereinbarung dergestalt, dass der Auftraggeber die Beschleunigung "anordnet", der Auftragnehmer idealerweise ankündigt, dass er hierfür zusätzliche Vergütung geltend machen wird und anschließend die Beschleunigungsmaßnahmen ohne Widerspruch und mit Kenntnis des Auftraggebers durchführt. Fraglich ist aber auch in diesem Fall, wonach sich die Höhe des Vergütungsanspruchs richtet.
Rz. 68
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Die Rechtsfolgenregelung des § 2 Abs. 5 VOB/B setzt voraus, dass der Auftraggeber rechtmäßig von einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht Gebrauch gemacht hat. Folgt man aber der Meinung, dass § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B ein solches nicht enthält, scheidet die Rechtsfolge aus. Mangels einer anderslautenden Vereinbarung erhielte der Auftragnehmer also die übliche Vergütung gem. § 632 BGB. |
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Teilweise wird vertreten, die Anordnung zur Bauzeit sei eine "andere Anordnung", wie sie in § 2 Abs. 5 VOB/B erwähnt wird, sodass doch § 2 Abs. 5 VOB/B für die Ermittlung der Vergütung heranzuziehen sei. Da § 2 Abs. 5 VOB/B nur die Rechtsfolge regelt (siehe oben Rdn 43), müsste das entsprechende Anordnungsrecht jedoch irgendwo vertraglich geregelt sein, was nicht der Fall ist, wenn man nicht der Auffassung folgt, dass dieses von § 1 Abs. 3, 4 VOB/B erfasst ist. |
Rz. 69
Noch komplizierter wird es, wenn der Auftragge...