I. "Sicher-liquide-versorgt"
Rz. 12
Im Mittelpunkt jeder Beratung sollte der Grundsatz stehen, dass jede Gestaltung für den Mandanten "sicher" ist, dass der Mandant "liquide" bleibt und dass er oder aber auch sein Ehepartner "versorgt" ist. Auf diesen Grundsatz "sicher-liquide-versorgt" ist die jeweilige konkrete Gestaltung zu stützen, sei es zu Lebzeiten oder durch Verfügung von Todes wegen.
So ist z.B. von einer lebzeitigen Gestaltung abzuraten, wenn der Erblasser dadurch nicht mehr liquide wäre, und zwar auch dann, wenn dadurch eine Steuerersparnis erzielt werden könnte. Im Bereich letztwilliger Verfügungen ist die hinreichende Liquidität und Versorgung des überlebenden Ehepartners zu berücksichtigen. Es ist immer daran zu denken, dass der Bedachte ausreichend Barmittel zur Tilgung der Nachlassverbindlichkeiten hat – seien es Pflichtteilsansprüche von Abkömmlingen, allgemeine Erbfallkosten oder auch Erbschaftsteuern. So ist bei Gestaltungen, bei denen bspw. die Kinder des Erblassers als Erben eingesetzt und dem überlebenden Ehepartner der Nießbrauch am Nachlass vermächtnisweise zugewandt wird, zwingend darauf zu achten, dass den Erben die Liquidität bzw. der Zugriff darauf zur Begleichung etwaiger Steuer insbesondere der Erbschaftsteuern verbleibt.
Reicht die Liquidität des Bedachten nicht aus, so ist dieser oftmals gezwungen, eine Immobilie zu verkaufen. Dies könnte durch rechtzeitige Vorsorge, z.B. auch durch den Abschluss einer Lebensversicherung oder auch durch den Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrags, verhindert werden.
II. Vermögenszusammensetzung und zukünftige Entwicklung des Vermögens
Rz. 13
Neben der Personen- und Vermögenserfassung spielen auch die Zusammensetzung und die Entwicklung des Vermögens eine wesentliche Rolle. So ist im Rahmen der Gestaltung einer letztwilligen Verfügung darauf zu achten, dass das Vermögen nicht einseitig strukturiert ist – sprich, dass z.B. nicht nur Immobilienvermögen vorhanden ist. Andererseits ist bei größeren Vermögen darauf zu achten, dass nach Möglichkeit auch Vermögen vorhanden ist, das steuerlich privilegiert ist (z.B. Immobilienvermögen, Betriebsvermögen, landwirtschaftliches Vermögen). Zu beachten ist auch die Vermögenszuordnung, ob bspw. nur ein Ehegatte Vermögen hat. Durch entsprechende Vermögensdispositionen kann u.U. das Verschenken erbschaftsteuerlicher Freibeträge verhindert werden (zum Steuervermächtnis beim gemeinschaftlichen Testament siehe § 19 Rdn 24 ff.).
Rz. 14
Für die konkrete Gestaltung ist darüber hinaus die wirtschaftliche Entwicklung des Vermögens interessant. Ist der überlebende Ehegatte z.B. durch gut angelegtes Vermögen in Zukunft abgesichert, dann kann der Erblasser bereits mehr Vermögen an die Abkömmlinge fließen lassen. Liegt es nahe, dass sich die Vermögensstruktur in nächster Zukunft ändert, dann ist es nicht sinnvoll, wenn das Testament die Zuweisung von Einzelgegenständen (z.B. ein Grundstücksvermächtnis) vorsieht, da der Gegenstand beim Erbfall möglicherweise nicht mehr im Nachlass enthalten ist. Wünscht der Mandant in einem solchen Fall dennoch eine Einzelzuweisung, dann ist eine hinreichende Störfallvorsorge zu treffen. Bei einem angeordneten Grundstücksvermächtnis ist dann z.B. an ein Verschaffungsvermächtnis eines ähnlichen oder wertgleichen Grundstücks zu denken oder an den Wegfall des Vermächtnisses (vgl. hierzu § 14 Rdn 29 ff.).
III. Nutzungszuweisung und Substanzzuweisung
Rz. 15
Ausgehend von den Wünschen und dem Willen des Mandanten ist eine Gesamtbetrachtung des Sachverhaltes vorzunehmen – im Folgenden anhand eines klassischen Sachverhaltes. Der Mandant oder die Mandanten als Eheleute verfügen i.d.R. über diverse Immobilien und sonstige Wertgegenstände und haben mehrere Kinder oder neben einem Kind andere Personen, die es zu bedenken gilt. Um bei dieser Zielsetzung Klarheit in die Vorstellungen der Mandanten zu bekommen, ist es notwendig, zunächst eine sog. "finale Substanzzuweisung" zu bedenken. Die Mandanten sind also zu fragen, wem welches Objekt letztlich zufließen soll, bzw. wer an welchem Objekt zwar kein Eigentum, aber doch ein bestimmtes Nutzungsrecht erlangen soll. Die Mandanten sollen vor die Frage gestellt werden, bei welchem Kind/bei welchen Bedachten sie die einzelnen Vermögensgegenstände ankommen lassen wollen und welches Kind/welche Bedachte letztlich über einen bestimmten Gegenstand uneingeschränkt oder auch nur eingeschränkt verfügen können sollen.
Rz. 16
Wird aus dieser "endgültigen Sicht" der Vermögensfluss gesehen, klären sich die Vorstellungen der Mandanten. Erst wenn die Mandanten sich Klarheit verschafft haben, wie der finale Substanzfluss aussehen soll, fällt es ihnen auch zunehmend leichter, mit Hilfe des Beraters die richtige Regelung für den ersten Erbfall zu treffen.
Rz. 17
Bei einem Ehegattentestament sollte die Regelung für den ersten Todesfall so aussehen, dass sowohl zivil- wie auch steuerrechtlich der richtige Weg eingeschlagen wird. So macht es keinen Sinn, Substanz zum überlebenden Ehegatten zu transferieren, wenn dieser sich bereits im achten Lebensjahrzehnt befindet und ihn eine ordnungsgemäße Substanzverwaltung ohnehin...