Rz. 7
Die Neufassung des noch aus dem Kaiserreich (1908) stammenden VVG ist von einer Expertenkommission vorbereitet worden, die den Entwurf eines fertig ausformulierten Versicherungsvertragsgesetzes vorgelegt hat. Obgleich in dieser aus 21 Mitgliedern bestehenden Kommission die Vertreter der Assekuranz zahlenmäßig dominierten, konnte dieser Entwurf als ausgewogen bezeichnet werden und ist auch im Gesetzgebungsverfahren nicht wesentlich verändert worden. Berücksichtigt worden ist das Bedürfnis nach einem modernen Verbraucherschutz, die umfassende Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs ist in die Beratungen und in die Fassung des Gesetzes eingeflossen. Kernpunkt des neuen VVG ist der Wegfall des Alles-oder-Nichts-Prinzips bei grober Fahrlässigkeit, Obliegenheitsverletzung und Gefahrerhöhung. Nunmehr erhält der Versicherungsnehmer auch dann anteiligen Versicherungsschutz, wenn er sich grob fahrlässig verhalten hat.
Rz. 8
Bei der Lebensversicherung werden die Versicherungsnehmer angemessen an den mit ihren Prämien erwirtschafteten Überschüssen beteiligt, erstmalig erhält der Versicherungsnehmer auch einen Anspruch auf Beteiligung an den stillen Reserven.
Das VVG sieht umfassende Beratungs- und Informationspflichten des Versicherers vor, auf die jedoch in einem gesonderten Schriftstück verzichtet werden kann.
Das VVG berücksichtigt auch die höchstrichterlichen Entscheidungen zur Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung und zur Berechnung von Mindestrückkaufswerten.
Der gesellschaftlichen Entwicklung wird auch Rechnung getragen durch die Neufassung von § 67 Abs. 2 VVG a.F. (Familienangehörigenprivileg). Die Regresssperre gem. § 86 Abs. 3 VVG wird nicht mehr davon abhängig gemacht, ob sich der Regress gegen einen Familienangehörigen richtet; es wird vielmehr darauf abgestellt, ob sich der Regress gegen ein Mitglied einer häuslichen Gemeinschaft richtet.
Rz. 9
Neu und für die Praxis besonders wichtig ist der Gerichtsstand des Versicherungsnehmers (§ 215 VVG), der erst während des Gesetzgebungsverfahrens eingeführt worden ist. Das VVG 2008 gilt ab 1.1.2009 für alle Versicherungsverträge, also auch für Altverträge. Versicherungsfälle, die vor dem 1.1.2009 eingetreten sind, werden noch nach altem Recht behandelt, es sei denn, der Versicherungsvertrag ist nach dem 1.1.2008 abgeschlossen oder bereits vor dem 1.1.2009 auf das neue VVG umgestellt worden. Die Vorschriften des VVG gelten für alle Versicherungszweige, außer für die Seeversicherung und die Rückversicherung (§ 209 VVG).
a) Aufbau des VVG
Rz. 10
Das VVG enthält zwingende, halbzwingende und dispositive Vorschriften für sämtliche Versicherungszweige, von denen einige im VVG ausdrücklich geregelt sind.
Teil 1 Allgemeiner Teil
Kapitel 1 Vorschriften für alle Versicherungszweige
Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften §§ 1–18
Abschnitt 2 Anzeigepflicht, Gefahrerhöhung, andere Obliegenheiten §§ 19–32
Abschnitt 3 Prämie §§ 33–42
Abschnitt 4 Versicherung für fremde Rechnung §§ 43–48
Abschnitt 5 Vorläufige Deckung §§ 49–52
Abschnitt 6 Laufende Versicherung §§ 53–58
Abschnitt 7 Versicherungsvermittler, Versicherungsberater
Unterabschnitt 1 Mitteilungs- und Beratungspflichten §§ 59–68
Unterabschnitt 2 Vertretungsmacht §§ 69–73
Kapitel 2 Schadensversicherung
Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften §§ 74–87
Abschnitt 2 Sachversicherung §§ 88–99
Teil 2 Einzelne Versicherungszweige
Kapitel 1 Haftpflichtversicherung §§ 100–124
Kapitel 2 Rechtsschutzversicherung §§ 125–129
Kapitel 3 Transportversicherung §§ 130–141
Kapitel 4 Gebäudefeuerversicherung §§ 142–149
Kapitel 5 Lebensversicherung §§ 150–171
Kapitel 6 Berufsunfähigkeitsversicherung §§ 172–177
Kapitel 7 Unfallversicherung §§ 178–191
Kapitel 8 Krankenversicherung §§ 192–208
Teil 3 Schlussvorschriften §§ 209–216
b) Einteilung der Versicherungsverträge
Rz. 11
Das VVG unterscheidet zwischen der Schadensversicherung und der Summenversicherung. Bei der Schadensversicherung ist der Versicherer verpflichtet, den durch den Versicherungsfall eingetretenen Vermögensschaden nach Maßgabe des Versicherungsvertrages zu ersetzen. Das frühere VVG enthielt noch ein ausdrückliches Bereicherungsverbot (§ 55 VVG a.F.). Das neue VVG enthält keine entsprechende Vorschrift, gleichwohl bleibt auch bei jetziger Rechtslage ein Spiel- oder Wettcharakter eines Versicherungsvertrages unzulässig: Eine Überversicherung mit dem Ziel, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, führt auch weiterhin zur Nichtigkeit des Vertrages (§ 74 VVG).
In der Krankenversicherung (§ 200 Abs. 2 VVG) gibt es auch weiterhin ein Bereicherungsverbot: Bei Ansprüchen gegen mehrere Erstattungsverpflichtete darf die Gesamterstattung die Gesamtaufwendungen des Versicherungsnehmers nicht übersteigen.
c) Rechtscharakter der Vorschrift des VVG
Rz. 12
Das VVG enthält zwingende, halbzwingende und dispositive Vorschriften.
aa) Zwingende Vorschriften
Rz. 13
Zwingende Vorschriften sind solche, von denen weder zugunsten des Versicherungsnehmers noch zu Ungunsten des Versicherers abgewichen werden darf. Die zwingenden Vorschriften des VVG enthalten dann jeweils eine ausdrückliche Bestimmung, in der auf die Nic...