Rz. 1

Das Privatversicherungsrecht ist in erster Linie Vertragsrecht; das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) befasst sich daher mit den Rechten und Pflichten der Beteiligten des Versicherungsvertrages. Das VVG ist lex spezialis zum BGB; es gilt für alle Versicherungszweige, soweit nicht ­einzelne Vorschriften durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) abgeändert worden sind.

I. Begriff der "Versicherung"

 

Rz. 2

Der Begriff der Versicherung ist weder im Versicherungsvertragsgesetz (VVG) noch im ­Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) definiert. Eine Versicherung liegt dann vor, wenn durch privaten Vertrag in einer Gefahrengemeinschaft gleichartiger Risiken ein Leistungsanspruch ­gegen den Versicherer für den Versicherungsnehmer begründet wird, bei dem sich ein Risiko- zum Schadenfall verwirklicht.

Auch das VVG 2008 verzichtet auf eine Definition der Versicherung, da diese Definition sich an den aktuellen Versicherungsformen orientieren würde und die zukünftige Entwicklung der Versicherungsprodukte beeinträchtigen könnte. § 1 VVG beschränkt sich daher darauf, die typischen Vertragspflichten der Vertragspartien festzulegen:

 

Rz. 3

Zitat

"§ 1 Vertragstypische Pflichten"

1. Der Versicherer verpflichtet sich mit dem Versicherungsvertrag, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern, die er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalles zu erbringen hat.

2. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten.“

II. Versicherung als Gefahrengemeinschaft

 

Rz. 4

Die Versicherung in der Form des "risk-pooling" beruht auf dem Gesetz der großen Zahl und der Zusammenfassung einer Masse von Risiken, die sich nach Möglichkeit nicht oder nur zu einem Bruchteil verwirklichen. Grundlage des Versicherungsgedankens ist das Risiko-Ausgleichskollektiv, die sogenannte Gefahrengemeinschaft, in der die Gemeinschaft der Versicherungsnehmer durch ihr Prämienaufkommen die Mittel für diejenigen Versicherungsnehmer zur Verfügung stellen, die vom Versicherungsfall betroffen sind.

Klauseln und Vertragsbedingungen jedes Versicherungsvertrages sind unwirksam, wenn sie mit dem Grundgedanken der Gefahrengemeinschaft unvereinbar sind.[1]

[1] Prölss/Martin/Armbrüster, Einl. Rn 233 ff.

III. Seeversicherung

 

Rz. 5

Gegenstand des Privatversicherungsrechts ist lediglich die Binnenversicherung, nicht die Seeversicherung.

IV. Rechtsgrundlagen

 

Rz. 6

Die wichtigste gesetzliche Rechtsquelle des Versicherungsrechts ist das (reformierte) Versicherungsvertragsgesetz vom 23.11.2007 (BGBl I, S. 2631). Dieses Gesetz befasst sich ausschließlich mit der Binnenversicherung; es gilt nicht für die See- und Rückversicherung (§ 209 VVG). Die Seeversicherung ist im Handelsgesetzbuch (§§ 778–905 HGB) geregelt. Die Rückversicherung ist die Versicherung der vom (Erst-)Versicherer übernommenen Gefahr und ausschließlich vertraglich geregelt. Aber auch das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sowie das Handelsgesetzbuch (HGB) sind für das Versicherungsvertragsrecht ebenso von Bedeutung wie das Pflichtversicherungsgesetz (PflVG).

1. Versicherungsvertragsgesetz von 2008 (VVG)

 

Rz. 7

Die Neufassung des noch aus dem Kaiserreich (1908) stammenden VVG ist von einer Expertenkommission vorbereitet worden, die den Entwurf eines fertig ausformulierten Versicherungsvertragsgesetzes vorgelegt hat. Obgleich in dieser aus 21 Mitgliedern bestehenden Kommission die Vertreter der Assekuranz zahlenmäßig dominierten, konnte dieser Entwurf als ausgewogen ­bezeichnet werden und ist auch im Gesetzgebungsverfahren nicht wesentlich verändert worden. Berücksichtigt worden ist das Bedürfnis nach einem modernen Verbraucherschutz, die umfassende Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs ist in die Beratungen und in die Fassung des Gesetzes eingeflossen. Kernpunkt des neuen VVG ist der Wegfall des ­Alles-oder-Nichts-Prinzips bei grober Fahrlässigkeit, Obliegenheitsverletzung und Gefahrerhöhung. Nunmehr erhält der Versicherungsnehmer auch dann anteiligen Versicherungsschutz, wenn er sich grob fahrlässig verhalten hat.

 

Rz. 8

Bei der Lebensversicherung werden die Versicherungsnehmer angemessen an den mit ihren ­Prämien erwirtschafteten Überschüssen beteiligt, erstmalig erhält der Versicherungsnehmer auch einen Anspruch auf Beteiligung an den stillen Reserven.

Das VVG sieht umfassende Beratungs- und Informationspflichten des Versicherers vor, auf die jedoch in einem gesonderten Schriftstück verzichtet werden kann.

Das VVG berücksichtigt auch die höchstrichterlichen Entscheidungen zur Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung und zur Berechnung von Mindestrückkaufswerten.

Der gesellschaftlichen Entwicklung wird auch Rechnung getragen durch die Neufassung von § 67 Abs. 2 VVG a.F. (Familienangehörigenprivileg). Die Regresssperre gem. § 86 Abs. 3 VVG wird nicht mehr davon abhängig gemacht, ob sich der Regress gegen einen Familienangehörigen richtet; es wird vielmehr darauf abgestellt, ob sich der Regress gegen ein Mitglied einer häuslichen Gemeinschaft richtet.

 

Rz. 9

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