Rz. 331
Der Eintritt des Versicherungsfalles gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, für die der Versicherungsnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist.
Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen, die der Versicherungsnehmer beweisen muss, gehört der Nachweis, dass der geltend gemachte Schaden in den Schutzbereich – materiell und zeitlich – des Versicherungsvertrages fällt. Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast für alle Umstände, die zur primären Risikoabgrenzung gehören, während die Beweislast für einen sekundären Risikoausschluss beim Versicherer liegt.
Beispiel
In der Feuerversicherung muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass der Schaden durch das in diesem Versicherungszweig definierte "Schadenfeuer" entstanden ist (primäre Risikobegrenzung).
Beruft sich der Versicherer darauf, dass der Brandschaden durch ein Kriegsereignis herbeigeführt worden ist, ist der Versicherer beweispflichtig (sekundärer Risikoausschluss).
Rz. 332
Der häufigste Versicherungsfall in der Sachversicherung – der Diebstahl – geschieht in der Regel unbeobachtet, so dass der Versicherungsnehmer mit den "klassischen" Beweismitteln den Eintritt des Versicherungsfalles gar nicht führen kann. Zeugen sind meist ebenso wenig vorhanden wie ein geständiger oder überführter Täter.
Dieser Beweisnot wird in der Rechtsprechung dadurch Rechnung getragen, dass dem Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen zugutekommen, die allerdings eng mit der Redlichkeit des Versicherungsnehmers und seinen Angaben verknüpft sind.
1. Beweis des äußeren Bildes
Rz. 333
Der BGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass dem Versicherungsnehmer in der Diebstahlversicherung eine über den Anscheinsbeweis hinausgehende Beweiserleichterung zugutekommen muss. Diese Beweiserleichterung wird damit begründet, dass aufgrund der materiellen Risikoverteilung eine Herabsetzung des Beweismaßes erfolgen müsse, die der Interessenlage und der materiell-rechtlichen Risikozuweisung entspricht.
Rz. 334
Dieses sogenannte Zwei-Stufen-Modell hat folgenden Inhalt:
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Der Versicherungsnehmer muss lediglich den Sachverhalt beweisen, der nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines Versicherungsfalles erschließen lässt (1. Stufe). |
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Der Versicherer muss dann Tatsachen beweisen, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass der Versicherungsfall vorgetäuscht ist (2. Stufe). |
Beiden Parteien kommen somit Beweiserleichterungen zugute. Der Versicherungsnehmer muss lediglich ein Minimum an Umständen beweisen, die auf eine Entwendung schließen lassen. Der Versicherer muss nicht den vollen Gegenbeweis erbringen, sondern nur Tatsachen beweisen, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit auf die Vortäuschung des Versicherungsfalles schließen lassen.
Rz. 335
Das Begriffspaar "hinreichende Wahrscheinlichkeit" und "erhebliche Wahrscheinlichkeit" lässt erkennen, dass die Beweisanforderungen an den Versicherer höher sind als an den Versicherungsnehmer. Der Versicherer muss Tatsachen (Indizien) beweisen, aus denen sich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für eine Vortäuschung des Versicherungsfalles ergibt. Hat der Versicherungsnehmer die zum äußeren Bild der Entwendung gehörenden Tatsachen durch Zeugen bewiesen, kommt es in diesem Stadium der Anspruchsbegründung auf seine Glaubwürdigkeit nicht an. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers und seiner Angaben zum Eintritt des Versicherungsfalles sind dann erst bei der Frage von Bedeutung, ob der Versicherer Tatsachen bewiesen hat, die auf eine Vortäuschung des Diebstahls schließen lassen. Wenn Zeugen und Versicherungsnehmer gleichermaßen unglaubwürdig sind, ist der Beweis des äußeren Bildes eines Versicherungsfalles nicht erbracht.
2. bona-fides-Beweis (Redlichkeitsbeweis)
Rz. 336
In der Regulierungspraxis und der Rechtsprechung der Instanzgerichte wird der zur Reisegepäckversicherung entwickelte bona-fides-Beweis (Redlichkeitsbeweis) herangezogen.
In der Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass es bei der Herabsetzung des Beweismaß...