Rz. 259
Den selbstständigen Versicherungsvertretern werden Angestellte eines Versicherers, die mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Versicherungsverträge betraut sind, gleichgestellt (§ 73 VVG). Der Versicherungsvertreter gilt als bevollmächtigt alle maßgeblichen Erklärungen des Versicherungsnehmers zum Versicherungsvertrag sowie Zahlungen des Versicherungsnehmers entgegen zu nehmen (§ 69 VVG).
Rz. 260
Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast für die Abgabe und den Inhalt eines Antrages, die Beweislast für die Verletzung der Anzeigepflicht oder einer Obliegenheit durch den Versicherungsnehmer trägt der Versicherer (§ 69 Abs. 3 VVG).
Die "Auge- und Ohr-Rechtsprechung" ist in § 70 VVG kodifiziert worden: Die Kenntnis des Versicherungsvertreters steht der Kenntnis des Versicherers gleich, beschränkt auf die Kenntnisse, die er "dienstlich" erlangt. Die Bestimmung gilt also nicht für Umstände, von denen der Versicherungsvertreter außerhalb seiner Tätigkeit erfährt.
Eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Versicherungsvertreters ist gem. § 72 VVG unzulässig und gegenüber dem Versicherungsnehmer und Dritten unwirksam.
Rz. 261
Die Vertrauenshaftung des Versicherers erstreckt sich auch auf Unterbevollmächtigte des Versicherungsvertreters. Insoweit enthält § 59 Abs. 2 VVG eine Klarstellung dahingehend, dass als Versicherungsvertreter auch derjenige gilt, der "von einem Versicherungsvertreter damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen".
Der Versicherer haftet nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB) auf Schadensersatz, wenn der Versicherungsvertrag bestimmte Risiken nicht abdeckt, für die der Antragsteller erkennbar Versicherungsschutz anstrebte.
Der Versicherungsnehmer muss dann beweisen, dass er bei richtiger Beratung durch den Agenten anderweitig Versicherungsschutz erhalten hätte. Wünscht ein Kunde bei Abwerbung den Versicherungsschutz in bisherigem Umfang, so haftet der Versicherer aus culpa in contrahendo für einen Schaden, der nach dem bisherigen Versicherungsschutz versichert war.
Aber:
Die Vertrauenshaftung greift nur bei schutzwürdigem Vertrauen des Versicherungsnehmers ein, insbesondere bleibt der Versicherungsnehmer grundsätzlich für den – richtigen – Inhalt des Versicherungsantrages verantwortlich; er kann sich bei vorsätzlich falschen Angaben nicht darauf berufen, der Versicherungsagent habe ihn hierzu angestiftet.
Der Versicherungsnehmer ist daher nicht mehr geschützt, wenn die Äußerungen und Zusicherungen des Agenten dem Antragsvordruck oder den Versicherungsbedingungen eindeutig widersprechen; dies gilt auch, wenn der Versicherungsnehmer auf Veranlassung des Agenten Gesundheitsfragen falsch beantwortet.
Rz. 262
Die Kenntnis eines kollusiv mit dem VN zusammenwirkenden Agenten ist dem Versicherer nicht zuzurechnen. Kollusion mit der Folge, dass die Kenntnis des Agenten dem Versicherer nicht zugerechnet wird, liegt dann vor, wenn Agent und Antragsteller arglistig zum Nachteil des Versicherers zusammenwirken. Arglist liegt nur dann vor, wenn der Versicherungsnehmer die Täuschung kennt und billigt, dass der Versicherer durch das Vorgehen des Agenten getäuscht wird. Der Vollmachtsmissbrauch durch den Agenten muss für den Versicherungsnehmer evident sein.
Rz. 263
Versicherungsagenten können Empfangsboten sein, selbst wenn in den Versicherungsbedienungen bestimmt ist, dass die Agenten zur Entgegennahme von Erklärungen nicht "bevollmächtigt" sind. Wenn ein solcher Agent eine vom Versicherungsnehmer übergebene Erklärung nicht an den Versicherer weiterleitet, ist diese dem Versicherer gleichwohl zugegangen.