Rz. 236
Nach § 81 Abs. 2 VVG ist der Versicherer bei grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers berechtigt, "seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen". Da es sich bei der groben Fahrlässigkeit um einen subjektiven Risikoausschluss handelt, trägt der Versicherer die Beweislast für die Schwere der Schuld und für den Umfang der Leistungskürzung.
1. Quotelung
Rz. 237
Der Rahmen der zulässigen Kürzung bewegt sich in einem Bereich von 0 % bis 100 %. Auch der "Goslarer Orientierungsrahmen" hält bei alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit eine Leistungskürzung auf Null für angemessen. Wie der BGH in der vorgenannten Entscheidung ausführt, ist nicht in jedem Fall bei einer alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit von einem völligen Leistungsausschluss auszugehen, es sind vielmehr entlastende Umstände denkbar, die im subjektiven Bereich das Verhalten des Versicherungsnehmers in einem milderen Licht erscheinen lassen.
Ebenso wie bei grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung ist nicht das sog. Mittelwertmodell heranzuziehen, vielmehr muss die Quotenbildung entsprechend den Besonderheiten jeden Einzelfalles erfolgen.
Rz. 238
In der Literatur wird eine grobe Einteilung in drei Bereiche vorgeschlagen, und zwar soll differenziert werden zwischen einer leichten, normalen oder schweren groben Fahrlässigkeit mit der Folge, dass bei leichter grober Fahrlässigkeit ein Abzug von 25 % gemacht wird, bei normaler grober Fahrlässigkeit von 50 % und bei schwerer grober Fahrlässigkeit soll eine Leistungskürzung von 75 % vorgenommen werden.
Dieses Grobraster dürfte zwar bei der Suche nach der tatsächlichen Quote praxistauglich sein, gleichwohl muss entsprechend den Besonderheiten des Einzelfalles innerhalb dieser Quoten noch eine Feinjustierung vorgenommen werden.
Die Versuche in der Literatur, Vorschläge zu Musterquoten zu entwickeln, dienen daher nur einer Scheinobjektivierung und widersprechen der Intention des Gesetzgebers, jeden Einzelfall einer besonderen Würdigung zu unterziehen. Auf Dauer wird es sich jedoch nicht vermeiden lassen, dass von der Rechtsprechung Standardquoten entwickelt werden, insbesondere zur groben Fahrlässigkeit bei Rotlichtverstößen und Alkoholfahrten.
Der 47. Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar hat einen "Goslarer Orientierungsrahmen" entwickelt, der bei relativer Fahruntüchtigkeit ab 0,5 Promille eine Kürzung von 50 % und bei absoluter Fahruntüchtigkeit ab 1,1 Promille eine Null-Quote vorsieht. Die Missachtung eines Rotlichts soll generell mit 50 % bewertet werden. Aber auch diese Quotenvorgabe des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstages hat sich nicht durchgesetzt.
2. Beweislast
Rz. 239
Den Beweis für die schuldhafte Herbeiführung des Versicherungsfalles hat der Versicherer zu führen. Insoweit handelt es sich um einen subjektiven Risikoausschluss bzw. eine subjektive Risikobeschränkung.
Erforderlich ist der Vollbeweis gem. § 286 ZPO. Die Regeln des Anscheinsbeweises sind nicht anwendbar, der Versicherer kann den Beweis für eine grobe Fahrlässigkeit nur im Wege des Indizienbeweises führen. Beim Indizienbeweis müssen die festgestellten Indiztatsachen (Hilfstatsachen) zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen. Das objektiv festgestellte Fehlverhalten ist somit ein Indiz für die subjektive Seite.
Im Rahmen von § 81 VVG muss daher der Versicherer auch das Maß des Verschuldens nachweisen, welches seine Kürzungsentscheidung rechtfertigen soll.
Die subjektive Seite des Fehlverhaltens ereignet sich in der Sphäre des Versicherungsnehmers, so dass diesen für entlastende Umstände eine sekundäre Beweislast trifft. Den Versicherungsnehmer trifft daher eine Substanziierungspflicht im Hinblick auf ihn entlastende Umstände.
Rz. 240
Beispiel
Bei einem Rotlichtverstoß ist der objektive Geschehensablauf ein Indiz für ein in subjektiver Hinsicht vorwerfbares Verhalten. Der Versicherungsnehmer kann sich möglicherweise durch den Hinweis entlasten, dass die Sicht auf die Verkehrssignalanlage durch einen Lkw versperrt war.