Rz. 25
Das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 GG sichert den Beteiligten ein faires Verfahren. Dieses Grundrecht stellt sicher, dass Beteiligte weder mit Verfahrenstricks arbeiten noch die Unwissenheit einzelner Beteiligter durch formale Positionen geschickt ausgenutzt wird.
Rz. 26
Beispiel
Der Schuldner war zunächst im Versteigerungstermin persönlich anwesend. Kurz nach Eröffnung der Bietzeit betrat ein Gerichtsvollzieher in Begleitung von zwei Justizbeamten den Sitzungssaal und forderte den Schuldner auf, den Saal zu verlassen und in das Geschäftszimmer des Gerichtsvollziehers mitzukommen. Der hiervon überraschte Schuldner leistete, auch im Hinblick auf die Anwesenheit der Wachtmeister, der Aufforderung Folge. Nachdem er im verschlossenen Dienstzimmer des Gerichtsvollziehers die eidesstattliche Versicherung (= Vermögensauskunft) abgegeben hatte – der Vorgang dauerte etwa 20 bis 30 Minuten –, ließ ihn der Gerichtsvollzieher wieder frei. Der Schuldner kehrte umgehend in den Sitzungssaal zurück, in dem die Versteigerung stattfand. Der Zuschlagsbeschluss war jedoch bereits verkündet worden.
Rz. 27
Zu Recht hat das BVerfG den Zuschlag wieder aufgehoben. Der aus Art. 14 Abs. 1 GG resultierende Anspruch auf eine faire Verfahrensführung kann es gebieten, eine Ermessensentscheidung dahingehend zu treffen, ob ein Versteigerungstermin fortzusetzen, zu unterbrechen oder zu vertagen ist, wenn der Vollstreckungsschuldner aufgrund einer staatlichen Zwangsmaßnahme (hier: Verhaftung in einem Verfahren auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung) daran gehindert wird, von seinem Recht auf Anwesenheit und Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte im Versteigerungstermin weiteren Gebrauch zu machen.
Rz. 28
Auch darf das Versteigerungsgericht das Verfahrensrecht nicht willkürlich anwenden. Dies bedingt, dass das Versteigerungsgericht eine Hinweis- und Belehrungspflicht trifft, wobei die Grenze immer durch die verfassungsrechtliche Neutralitätspflicht des Rechtspflegers gezogen werden muss.
Rz. 29
Die Hinweis- und Belehrungspflicht zur Garantie eines fairen Verfahrens war und ist immer wieder Gegenstand zahlreicher Entscheidungen, insbes.
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zum Vollstreckungsschutz, § 30a ZVG, § 765a ZPO, |
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zum Hinweis auf die Rechtsfolgen unterlassener Anmeldungen, § 37 Nr. 4 ZVG, |
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zu Auswirkungen des Deckungs- und Übernahmegrundsatzes, d.h. Aufstellen des geringsten Gebots, § 44 ZVG, |
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zu den Folgen, wenn der Schuldner bei der Ermittlung des Verkehrswertes dem Sachverständigen eine Innenbesichtigung des Objekts verwehrt, |
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zu Art und Umfang der zu erbringenden Sicherheitsleistung im Versteigerungstermin, §§ 67 ff. ZVG, |
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zu den Wirkungen und Bedeutungen der 5/10-Grenze, § 85a ZVG, |
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zur Bedeutung, Wirkung und Belehrung eines Antrages auf Zuschlagsversagung wegen Nichterreichens der 7/10-Grenze, § 74a ZVG, |
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zur Problematik bei einer möglichen Grundstücksverschleuderung, |
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zum Beachten landesrechtlicher Vorschriften, z.B. beim Altenteil, § 9 EGZVG, |
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zur Ablösung öffentlicher Abgaben und deren Rechtsfolgen, |
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zur Ablösung vorrangiger Hausgelder der Wohnungseigentümergemeinschaft, |
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zur Sicherheitsleistung durch Stellung eines Bürgen, |
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zur Handhabung überlappender Versteigerungstermine. |