1. Schutzbereich
Rz. 29
Gleichlautend mit Art. 8 Abs. 1 GRCh findet sich ein weiteres Datenschutzgrundrecht in Art. 16 Abs. 1 AEUV:
Art. 16
(1) |
Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. |
(2) |
Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Vorschriften über den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der Ausübung von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, und über den freien Datenverkehr. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von unabhängigen Behörden überwacht. Die auf der Grundlage dieses Artikels erlassenen Vorschriften lassen die spezifischen Bestimmungen des Artikels 39 des Vertrages über die Europäische Union unberührt. |
Rz. 30
Der Anwendungsbereich dieser Norm dürfte aufgrund ihrer Verankerung im AEUV jedoch von dem des Art. 8 Abs. 1 GRCh bzw. dem des aus Art. 8 EMRK hergeleiteten Grundsatzes des Unionsrechts abweichen. Er ist an den Anwendungsbereich des AEUV geknüpft, wie er in dessen Art. 1 Abs. 1 niedergelegt ist. Danach regelt dieser Vertrag die Arbeitsweise der Union und legt die Bereiche, die Abgrenzung und die Einzelheiten der Ausübung ihrer Zuständigkeiten fest. Dementsprechend kann sich Art. 16 Abs. 1 AEUV nur auf einen Schutz personenbezogener Daten durch die Europäische Union, ihre Organe und ihre sonstigen Einrichtungen selbst, nicht hingegen durch die Mitgliedstaaten beziehen, auch wenn Art. 16 Abs. 2 AEUV bei oberflächlicher Betrachtung etwas anderes vermuten lässt, wenn dort von einer Kompetenz zum Erlass von Rechtsvorschriften mit Wirkung auch für die Mitgliedstaaten die Rede ist. Einen Rückschluss auf den Schutzbereich des Art. 16 Abs. 1 AEUV kann man aus Art. 16 Abs. 2 AEUV nicht ziehen. Anderenfalls würde der Anwendungsbereich des AEUV überschritten und zudem der von mehreren Mitgliedstaaten erklärte Vorbehalt gegenüber der GRCh bezüglich des Datenschutzes in sein Gegenteil verkehrt, denn Art. 16 Abs. 1 AEUV gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Für eine Verpflichtung allein der Europäischen Union, ihrer Organe und sonstigen Einrichtungen selbst spricht auch eine genetische Auslegung des Art. 16 AEUV. Nach den Erläuterungen zur GRCh wie auch nach den Übereinstimmungstabellen gem. Art. 5 des Vertrages von Lissabon tritt Art. 16 AEUV zusammen mit Art. 39 EUV an die Stelle des vormaligen Art. 286 EG, der allein den Datenschutz durch die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Europäischen Union sicherstellen sollte. Richtet sich auch Art. 16 Abs. 1 AEUV damit allein gegen die Unionsorgane etc., ist das allgemeine Grundrecht auf Datenschutz ihnen gegenüber gleich dreifach primärrechtlich abgesichert, nämlich durch Art. 16 Abs. 1 AEUV, Art. 8 GRCh und dem aus Art. 8 EMRK hergeleiteten allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts. Der sachliche Schutzbereichsgehalt all dieser Bestimmungen ist aus Gründen der Kohärenz als gleichwertig anzusehen. Einbezogen ist nach Auflösung der sogenannten Säulenstruktur der Europäischen Union durch den Vertrag von Lissabon auch der Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Wie in Art. 8 Abs. 3 GRCh ist auch hier primärrechtlich in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 AEUV festgeschrieben, dass die Einhaltung des Grundrechts durch unabhängige Behörden überwacht wird. Angesprochen sind damit der Europäische Datenschutzbeauftragte und die in den einzelnen Einrichtungen der Europäischen Union tätigen Datenschutzbeauftragten.
2. Beeinträchtigungen und Rechtfertigung
Rz. 31
Wie im Rahmen der oben bereits vorgestellten EU-Grundrechte stellt auch hier die Verarbeitung von Daten die vorrangige Beeinträchtigung des Schutzbereichs dar. Art. 16 Abs. 1 AEUV ist trotz Fehlens einer, Art. 8 Abs. 2 GRCh vergleichbaren, ausdrücklichen Schrankenregelung einschränkbar. Eine schrankenlose Gewährleistung des Datenschutzes auf Primärrechtsebene unterliefe nämlich die übrigen EU-Grundrechte auf Datenschutz, soweit es das Handeln der Europäischen Union selbst betrifft. Dieses Ergebnis ist sicher nicht gewollt. Ob aber die maßgeblichen Schrankenregelungen in Art. 52 Abs. 1, Abs. 2 oder gar Abs. 3 GRCh zu finden sind, bedarf noch einer Klärung. Viel spricht jedoch dafür, die Schranke des Art. 52 Abs. 2 GRCh anzuwenden, denn bei dem in Art. 16 Abs. 1 AEUV gewährleisteten Grundrecht auf Datenschutz handelt es sich um ein durch den Vertrag begründetes Recht.