a) Geschäftsfähigkeit und Einwilligungsfähigkeit
Rz. 15
Soweit die Vorsorgevollmacht zu rechtgeschäftlichem Handeln – insbes. in vermögensrechtlichen Angelegenheiten – ermächtigt, muss der Vollmachtgeber bei Erteilung der Vollmacht geschäftsfähig sein. Ist er geschäftsfähig, darf er sich bei Erteilung der Vollmacht nicht im Zustand vorübergehender Störung der Geistestätigkeit befinden (§ 105 Abs. 2 BGB; temporäre "Geschäftsunfähigkeit").
Rz. 16
Geschäftsfähigkeit ist im Gesetz nicht positiv geregelt. Es gilt der Grundsatz der Geschäftsfähigkeit. Dementsprechend wird vom Notar auch nicht die (positive) Feststellung der Geschäftsfähigkeit verlangt, sondern die Ablehnung der Beurkundung bei Geschäftsunfähigkeit (§ 11 Abs. 1 BeurkG, siehe § 7 Rdn 11 ff.). Geschäftsunfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB). Ferner sind Minderjährige bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres geschäftsunfähig (§ 104 Nr. 1 BGB). Minderjährige ab Vollendung des siebten Lebensjahrs sind in der Geschäftsfähigkeit nach Maßgabe der §§ 107–113 BGB beschränkt (§ 106 BGB); die Beschränkungen schließen die Erteilung einer Vorsorgevollmacht als Generalvollmacht ohne Mitwirkung des gesetzlichen Vertreters aus.
Rz. 17
Sowohl Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB) als auch temporäre "Geschäftsunfähigkeit" (§ 105 Abs. 2 BGB) erfordern einen – geistesstörungsbedingten – Ausschluss der freien Willensbildung. Ein solcher Ausschluss ist nach der Rechtsprechung des BGH dann gegeben, wenn eine Person nicht imstande ist, den eigenen Willen frei und unbeeinflusst von einer Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnen Einsichten zu handeln (Einsichts- und Handlungsfähigkeit). Maßgeblich ist, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider im Rahmen einer sachlichen Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann. Letzteres ist gegeben, wenn die Willensbildung nicht auf rationalen Erwägungen beruht, sondern unkontrollierbaren Trieben oder Vorstellungen unterworfen ist. Die Beeinflussung durch dritte Personen kann genügen, wenn dadurch die Freiheit der Willensbildung ausgeschlossen wird. Willensschwäche und leichte Beinflussbarkeit allein sind allerdings ebenso wenig ausreichend wie das Unvermögen, die Tragweite einer Willenserklärung zu erfassen.
Rz. 18
Soweit die Vorsorgevollmacht zum Handeln in persönlichen Angelegenheiten wie Gesundheit und Aufenthalt/Unterbringung ermächtigt, ist umstritten, ob auch für diese Bereiche Geschäftsfähigkeit im Sinne der §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 2 BGB erforderlich ist oder ob stattdessen auf die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit (Einwilligungsfähigkeit) abzustellen ist. Letzteres dürfte – dogmatisch – richtig sein (arg. Gestattung/Ermächtigung zu tatsächlichem Handeln; siehe § 1 Rdn 116). Müller-Engels und Renner weisen darauf hin, dass bei Berücksichtigung der Komplexität einer Vollmachtserteilung in persönlichen Angelegenheiten kaum Situationen vorstellbar seien, in denen zwar die Geschäftsfähigkeit fehle, aber ein ausreichendes natürliches Einsichtsvermögen des Vollmachtgebers vorliege. Jedenfalls dann, wenn sich die Vorsorgevollmacht nicht auf persönliche Angelegenheiten beschränkt, sondern als Generalvollmacht – auch in vermögensrechtlichen Angelegenheiten – erteilt wird, ist die Streitfrage ohne Belang.
Rz. 19
Siehe zur Frage der Einwilligungsfähigkeit bei Maßnahmen in persönlichen Angelegenheiten Rdn 116 sowie zur Patientenverfügung § 3 Rdn 54.
b) Besonderer Maßstab für die Vorsorgevollmacht
Rz. 20
Das OLG München hat bereits 2009 zur Vorsorgevollmacht den Satz aufgestellt, dass die Wirksamkeit einer Bevollmächtigung auch dann zu bejahen sein kann,
Zitat
"wenn keine Zweifel bestehen, dass der Vollmachtgeber das Wesen seiner Erklärung begriffen hat und diese in Ausführung freier Willensentschließung abgibt, sollte ...