a) Grundlagen/Einführung
Rz. 186
Eines der zentralen Themen bei der Vorsorgevollmacht ist der "Start der Vollmacht".
Für den Berater zwei Vorgaben vorweg:
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(Vorgabe 1) Je umfassender die Vorsorgevollmacht gestaltet ist (Stichwort: Generalvollmacht, ohne bzw. mit wenigen nicht störenden Einschränkungen im Außenverhältnis) und |
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(Vorgabe 2) wenn sichergestellt ist, dass der der Bevollmächtigte zu gegebener Zeit im Besitz der Vollmachtsurkunde ist, um sich als solcher durch deren Vorlage zu legitimieren bzw. die Wirkungen der §§ 171, 172 BGB zu erzielen (Rechtsscheinvollmacht, Nachweis der Bevollmächtigung), |
umso größer ist die Chance, dass der (Haupt-)Wunsch des Vollmachtgebers – und des Gesetzgebers – erreicht wird, nämlich die Vermeidung der Einrichtung einer staatlichen/gerichtlichen Betreuung.
Für den Berater die Lösung (Königsweg, vgl. Rdn 205 ff.) vorweg:
Erteilung einer umfassenden, sofort wirksamen und dem Bevollmächtigten auch sofort ausgehändigten Vollmacht, und zwar vom Notar beurkundet, wegen der amtlichen Prüfung der Geschäftsfähigkeit (siehe dazu § 7 Rdn 11 ff.) und wegen der Möglichkeit – im Falle des Verlustes bei entsprechender Anweisung – ohne Einschränkungen jederzeit weitere Ausfertigungen der Vollmacht zu erhalten (siehe dazu § 7 Rdn 31 ff.).
Rz. 187
Die Vorsorgevollmacht wird in der Regel dem Bevollmächtigten gegenüber erteilt (sog. Innenvollmacht, § 167 Abs. 1 Alt. 1 BGB). Wenn für das Wirksamwerden kein bestimmter Zeitpunkt bzw. kein bestimmtes Ereignis ausdrücklich festgelegt ist und auch im Wege der Auslegung nicht ausgemacht werden kann (Befristung oder Bedingung), dann wird die Vollmacht mit ihrer Erteilung – sofort – wirksam. Von der Frage der Wirksamkeit – des Starts der Vollmacht – zu unterscheiden ist die wichtige, aber für die Wirksamkeit der Vollmacht ohne besondere Regelung nicht entscheidende Frage, wann und wie sich der Vollmachtgeber im Rechtsverkehr legitimieren kann bzw. die Bevollmächtigung so nachweisen kann, dass sie akzeptiert wird bzw. zu akzeptieren ist (zum Gebrauch der Vollmacht insbes. gegenüber dem Grundbuchamt und gegenüber Banken siehe § 17. Grundsätzlich bedarf die Vollmacht keiner besonderen Form; sie bedarf grundsätzlich nicht der Form, welche für das Rechtsgeschäft bestimmt ist, auf das sich die Vollmacht bezieht (§ 167 Abs. 2 BGB; wichtige Ausnahmen im materiellen Recht: z.B. § 1943 Abs. 3 BGB und § 2 Abs. 2 GmbHG, im Verfahrensrecht: Grundbuch § 29 GBO, Handelsregister § 12 HGB; siehe zu Formvorschriften § 6). Der Rechtsverkehr darf auf die Bevollmächtigung vertrauen, wenn der Vollmachtgeber eine Vollmachtsurkunde (das Original bzw. bei der beurkundeten Vollmacht eine Ausfertigung, siehe zur Ausfertigung von Vollmachten § 7 Rdn 31 ff.) dem Bevollmächtigten ausgehändigt hat und der Bevollmächtigte diese dem Dritten (dem Vertragspartner) vorlegt (§ 172 Abs. 1 BGB), und zwar bis die Vollmachtsurkunde dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt wird (siehe zum Letzteren § 15).
Rz. 188
Hinweis: Besitz der Vollmachtsurkunde als Wirksamkeitsvoraussetzung ("erlaubte/sinnvolle" Bedingung)
Es dürfte i.d.R. angezeigt sein ("erlaubte" Bedingung), das Wirksamwerden der Vollmacht (ausdrücklich) davon abhängig zu machen, dass der Bevollmächtigte im Besitz der (Original-)Vollmachtsurkunde bzw. bei der beurkundeten Vollmacht im Besitz einer ihm – auf seinen Namen – erteilten Ausfertigung der Vollmacht ist (siehe die Regelung in § 1 Abs. 4 im Grundmuster I und II, Rdn 8 und Rdn 9; Renner/Braun sprechen insoweit von einem "technischen Trick", den Gleichlauf von materiellem und formellem Recht herzustellen). Alternativ kann strenger nicht nur auf den Besitz abgestellt werden, sondern auf die Vorlage des Originals bzw. der Ausfertigung, was aber den Gebrauch der Vollmacht einschränkt. Wird auf den Besitz abgestellt, fehlt es zwar an der Rechtsscheinhaftung (§ 172 BGB) und es können sich Nachweisprobleme ergeben (siehe nachstehenden Hinweis); wird aber weitergehend auf die Vorlage abgestellt, ist die Vollmacht ohne ihre Vorlage – im Außenverhältnis – nicht wirksam.
Ohne eine solche "Einschränkung" wäre die Vollmacht ggf. sofort wirksam erteilt. Etwas anderes dürfte m.E. allerdings dann gelten, wenn die Vollmacht mit verzögerter Aushändigung erteilt wird (siehe dazu Lösung 2, Rdn 196 ff. und Lösung 3 Rdn 205 ff.), selbst dann, wenn es ausdrücklich heißt, dass die Vollmacht sofort wirksam wird (Auslegungsfrage).
Hinweis: Vergessenes Original/vergessene Ausfertigung
Da die Vollmacht bei Vornahme des Rechtsgeschäfts wirksam erteilt sein muss (und für § 172 Abs. 2 BGB dem Bevollmächtigten ausgehändigt und dem Vertragspartner vorgelegt werden muss), kann es abgesehen vom Risiko des Vertragspartners Probleme beim Grundbuchvollzug bereiten, wenn der Bevollmächtigte bspw. bei Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages nur eine beglaubigte Abschrift/Ablichtung der Vollmacht vorlegt. Das passiert in der Praxis gar nicht so selten; für den Laien sieht auch die beglaubigte Abschrif...