Isabelle Losch, Gabriela Hack
Rz. 154
Nach § 630d Abs. 1 S. 1 BGB muss vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme der Behandelnde die Einwilligung des Patienten einholen. Ist dieser einwilligungsunfähig, ist die Einwilligung des hierzu Berechtigten einzuholen, § 630d Abs. 1 S. 2 BGB. Berechtigter kann der Bevollmächtigte sein. Dieser kann entscheiden, ob Untersuchungen des Gesundheitszustands des Vollmachtgebers, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe an diesem vorgenommen werden sollen oder nicht.
Rz. 155
Die Vollmachtsurkunde muss gemäß § 1829 Abs. 5 BGB schriftlich erteilt sein und die Maßnahmen nach § 1829 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB ausdrücklich umfassen.
Rz. 156
Aus der Vollmacht muss sich ergeben, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Betroffenen vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann (sog. qualifizierte Gefahrensituation).
Praxistipp
Die §§ 1829, 1831, 1832 BGB setzen für eine Einwilligung des Bevollmächtigten voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die jeweilige Maßnahme ausdrücklich umfasst. Um dies sicherzustellen, ist bei der Gestaltung der Vollmacht die wörtliche Übernahme der Gesetzestexte zu empfehlen.
Rz. 157
Zu beachten ist, dass trotz einer wirksamen Bevollmächtigung die Genehmigung des Betreuungsgerichts einzuholen ist, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Vollmachtgeber aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, vgl. § 1829 Abs. 1 und 2 BGB. Im Gegensatz zu Abs. 1 muss die Maßnahme bei Abs. 2 medizinisch angezeigt sein.
Rz. 158
Solche gefährlichen Maßnahmen können, abhängig vom Allgemeinzustand des Patienten, sein:
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Untersuchungen, wie z.B. Bronchoskopie, Herzkatheterisierung, ERC (P); |
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operative Behandlungsmaßnahmen, wie z.B. Herzoperationen, Transplantationen, neurochirurgische Eingriffe und alle großen chirurgischen Eingriffe in den unterschiedlichen chirurgischen Fachgebieten; |
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nichtoperative Behandlungsmaßnahmen, wie z.B. Chemotherapie, Dauerbehandlung mit Psychopharmaka; |
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Abbruch der mit einer PEG-Sonde ermöglichten künstlichen Ernährung. |
Ohne Genehmigung des Betreuungsgerichts sind diese Maßnahmen nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist. Auf alle Fälle ist aber zuvor eine ärztliche Aufklärung erforderlich, § 630d Abs. 2 BGB.
Rz. 159
Eine Patientenverfügung des Vollmachtgebers ist in diesem Zusammenhang von dem Bevollmächtigten immer zu berücksichtigen und geht dem Ehegattenvertretungsrecht vor. Denn nach § 1829 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 BGB ist keine Genehmigung erforderlich, wenn zwischen Bevollmächtigtem und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1827 BGB festgestellten Willen des Betroffenen – also dessen Anordnungen im Rahmen seiner Patientenverfügung oder dessen mutmaßlichem Willen – entspricht.
In solch einem Fall ist es zu empfehlen, das Ergebnis der Konsultation zwischen Arzt und Bevollmächtigtem schriftlich zu dokumentieren.
§ 1829 BGB gilt bei dem neu geschaffenen Ehegattenvertretungsrecht gemäß § 1358 Abs. 6 BGB.
Rz. 160
Ausgangspunkt des Prozesses zur Feststellung des Patientenwillens (siehe im Einzelnen § 2 Rdn 20 ff.) ist die aus Sicht des behandelnden Arztes indizierte Maßnahme, § 1828 Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Maßnahme erörtert der Arzt sodann mit dem Bevollmächtigten und beide entscheiden, ob die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, § 1828 Abs. 1 S. 2 BGB.
Rz. 161
Beim Entscheidungsprozess soll nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen gemäß § 1828 Abs. 2 BGB Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden. Diese haben jederzeit die Möglichkeit, die Entscheidung des Bevollmächtigten vom Betreuungsgericht überprüfen zu lassen, das aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes zur Aufklärung und Prüfung des Sachverhaltes verpflichtet ist.
Rz. 162
Stellt der Bevollmächtigte nach der durchgeführten Konsultation und der evtl. Anhörung fest, dass die Festlegungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen, hat er diesen Geltung zu verschaffen, vgl. § 1828 Abs. 1 S. 1, 2 BGB.
Rz. 163
Sofern die Festlegungen nach seiner Auffassung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen bzw. wenn gar keine Patientenverfügung vorliegt, muss der Bevollmächtigte nach Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens eine Entscheidung über die Einwilligung in die ärztliche Maßnahme treffen, § 1827 Abs. 2 S. 1 BGB. Dabei ist der mutmaßliche Wille des Vollmachtgebers aufgrund konkreter Anhaltspunkte etwa in Form früherer Äußerungen, ethischer oder religiöser Überzeugungen ode...