Rz. 123

Ein nach § 2265 BGB von Ehegatten errichtetes gemeinschaftliches Testament kann grundsätzlich jederzeit einseitig widerrufen werden.[213] Sind darin jedoch wechselbezügliche Verfügungen i.S.d. § 2270 BGB enthalten, so bedarf die Widerrufserklärung der notariellen Beurkundung, §§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 2 BGB. Diese muss dem anderen Ehegatten in Urschrift oder Ausfertigung zugehen.[214]

 

Rz. 124

Auch und gerade wenn einer der Ehegatten geschäftsunfähig wird, kann ein Bedürfnis des anderen bestehen, sich von solch einem gemeinschaftlichen Testament zu lösen, etwa bei Demenz des Ehepartners, um dessen spätere Erbenstellung zu beseitigen und so zu vermeiden, dass der eigene Nachlass für die Pflegekosten aufgebraucht werden könnte. Dies ist grundsätzlich möglich, da die Entgegennahme des Widerrufs keinen höchstpersönlichen Charakter hat.[215]

 

Rz. 125

In diesem Fall ist der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Geschäftsunfähigen gemäß § 131 Abs. 1 BGB für die Entgegennahme der Widerrufserklärung zuständig bzw., wenn der andere Ehegatte zugleich Betreuer ist, ein Ergänzungsbetreuer zu bestellen.[216] Der Betreuer muss für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge bestellt worden sein, da der Schwerpunkt des Widerrufs im vermögensrechtlichen Bereich liegt,[217] eine "Postvollmacht" reicht nicht aus.[218] Nach einem Beschluss des OLG Nürnberg genügt der Zugang der notariell beurkundeten Widerrufserklärung an einen Ersatzbetreuer mit diesem Aufgabekreis, da § 1817 Abs. 5 BGB (§ 1899 Abs. 4 BGB a.F.) eine rechtliche Verhinderung erfasst.[219]

Das OLG Nürnberg[220] stellte auch fest, dass der Eintritt der Geschäftsunfähigkeit eines Ehegatten kein Hindernis für den Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen des anderen darstellt.[221]

 

Rz. 126

Bei Vorliegen einer General- oder Vorsorgevollmacht stellt sich die Frage, ob die Zustellung der Widerrufserklärung an den Bevollmächtigten bewirkt werden kann.[222] Dies wird vom LG Leipzig[223] unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 51 Abs. 3 ZPO[224] bejaht. Zwar sei der Vorsorgebevollmächtigte kein gesetzlicher Vertreter nach § 131 Abs. 1 BGB, aber diesem gleichzustellen, wenn die Vollmacht nach ihrem Inhalt und nach der Person des Bevollmächtigten geeignet sei, die Bestellung eines Betreuers entfallen zu lassen.

Ob eine Vollmacht die Befugnis zur Entgegennahme eines solchen Widerrufs beinhaltet, ist im Einzelfall im Wege der Auslegung zu ermitteln, dürfte jedoch bei einer umfassenden Generalvollmacht der Fall sein.[225]

 

Rz. 127

Ob der widerrufende Ehegatte, der zugleich von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Bevollmächtigter ist, den Widerruf selbst in Empfang nehmen kann, ist umstritten.[226]

 

Rz. 128

Ein Widerruf der wechselbezüglichen Verfügungen des geschäftsunfähigen Ehegatten kann hingegen nicht in Vertretung erfolgen, da es sich hierbei um eine Verfügung von Todes wegen handelt, die nur höchstpersönlich errichtet werden kann.[227]

[213] Grüneberg/Weidlich, § 2271 Rn 1.
[216] AG München, Beschl. v. 13.10.2010 – 705 XVII 1559/08, NJW 2011, 618.
[217] OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.6.2013 – 15 W 764/13, ZEV 2013, 450 m. Anm. Keim; OLG Hamm, Beschl. v. 5.11.2013 – I-15 W 17/13, ZErb 2014, 81.
[219] OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.6.2013 – 15 W 764/13, ZEV 2013, 450 m. Anm. Keim: Hier war die den Widerruf erklärende Ehefrau des Erblassers zugleich Hauptbetreuerin und daher an der Vertretung zum Empfang der eigenen Widerrufserklärung gemäß §§ 1908i Abs. 1, 1795 Abs. 1 Nr. 1, 181 BGB a.F. (nunmehr: §§ 1862 Abs. 4, 1824 Abs. 1 Nr. 1, 181 BGB) gehindert.
[220] OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.6.2013 – 15 W 764/13, ZEV 2013, 450 m. Anm. Keim; siehe auch Hausmann, notar 2014, 58.
[221] So auch die h.M., vgl. Grüneberg/Weidlich, § 2271 Rn 6; MüKo-BGB/Musielak, § 2271 Rn 8 m.w.N.
[222] Siehe hierzu Zimmer, ZEV 2013, 307; Keim, ZEV 2010, 358.
[223] LG Leipzig, Beschl. v. 1.10.2009 – 4 T 549/08, ZErb 2009, 360.
[224] § 51 Abs. 3 ZPO: "Hat eine nicht prozessfähige Partei, die eine volljährige natürliche Person ist, wirksam eine andere natürliche Person schriftlich mit ihrer gerichtlichen Vertretung bevollmächtigt, so steht diese Person einem gesetzlichen Vertreter gleich, wenn die Bevollmächtigung geeignet ist, gemäß § 1814 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BGB die Erforderlichkeit einer Betreuung entfallen zu lassen."
[225] BeckOK-BGB/Braun, § 2271 Rn 14c.
[226] Dafür etwa v.Oertzen/Windeknecht, ZEV 2019, 8; Keim, ZEV 2010, 358; dagegen Horn/Horn, Anwaltformulare Vorsorgevollmachten, § 4 Rn 9); grundsätzlich dafür mit Einschränkungen BeckOK-BGB/Braun, § 2271 Rn 14c.
[227] LG Leipzig, Beschl. v. 1.10.2009, – 4 T 549/08, ZErb 2009, 360; Damrau/Tanck/Klessinger, § 2271 Rn 7; Lange, ZEV 2008, 313.

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