I. Allgemeines
Rz. 107
Bei der Planung und Gestaltung der vorweggenommenen Erbfolge gehören Rückforderungsrechte zum Standard. Neben den gesetzlichen Rückforderungsrechten spielen vertragliche Vereinbarungen zur Rückabwicklung eine wesentliche Rolle.
Rz. 108
Gesetzliche Rückforderungsrechte sind insbesondere:
Rz. 109
Zivilrechtlich zielen vertragliche Rückforderungsrechte – seien es vertragliche Rücktrittsvereinbarungen, Widerrufsvorbehalte, auflösende Bedingungen oder Rückforderungsrechte sui generis als Gestaltungsrechte – in erster Linie auf den Schutz des übertragenen Vermögens vor dem Zugriff Dritter zu Lebzeiten des Veräußerers ab. In Betracht kommen insbesondere Rückforderungsrechte für den Fall, dass
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der Erwerber oder dessen Rechtsnachfolger vor dem Rückübertragungsberechtigten verstirbt oder |
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der Vertragsgegenstand ohne Zustimmung des Rückübertragungsberechtigten veräußert oder belastet wird oder |
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über das Vermögen des Erwerbers oder seines Rechtsnachfolgers ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgelehnt wird oder |
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die Zwangsversteigerung oder Zwangsverwaltung des Vertragsgegenstandes angeordnet oder im Wege der Zwangsvollstreckung eine Grundstücksbelastung eingetragen wird und die Zwangsvollstreckungsmaßnahme nicht innerhalb von drei Monaten rückgängig gemacht wurde oder |
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eine Ehe des Erwerbers geschieden wird und der Vertragsbesitz in die Berechnung des Zugewinnausgleichs oder eines sonstigen güterrechtlichen Ausgleichs mit einbezogen wird, ebenso bei Durchführung des vorzeitigen Zugewinnausgleichs, oder |
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der Überlassungsvorgang eine Steuer auslöst, sog. Steuerklausel (siehe Rdn 124 ff.>). |
II. Steuerliche Behandlung der Rückforderung
1. Allgemeines
Rz. 110
Die steuerlichen Folgen der Herausgabe wegen eines (gesetzlichen oder vertraglichen) Rückforderungsrechts regelt § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Diese "Steuerstorno" führt zur Rückabwicklung des Steuerfalls bei gleichzeitiger Schenkungsteuerfreiheit der Rückgabe des Geschenks. Dabei muss die Herausgabe tatsächlich stattfinden; die (bloße) Anspruchsinhaberschaft reicht steuerlich also nicht aus, selbst dann nicht, wenn ein entsprechender Titel vorliegt.
Rz. 111
Auch ein "freies" Rückforderungsrecht oder eine Kumulation von Rückforderungsrechten nebst Vereinbarung weiterer Rechte für den Veräußerer, z.B. ein Vorbehaltsnießbrauch oder eine Finanzierungsvollmacht (siehe Rdn 130>), stehen einer Anerkennung der Schenkung i.S.d. Schenkungsteuerrechts wohl grundsätzlich nicht entgegen(siehe Rdn 119>).
Rz. 112
Das Rückforderungsrecht muss tatsächlich bestehen. Es genügt etwa keinesfalls, eine Schenkung ohne Vorliegen des Tatbestands des § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG "aufzuheben". Eine solche Aufhebung stellt eine weitere schenkungsteuerpflichtige (Rück-)Schenkung dar, was bei den dann regelmäßig zur Verfügung stehenden Freibeträgen und Steuersätzen zu einer erheblichen Steuer führen kann. Die fehlgelaufene Rückabwicklung einer Schenkung wird steuerlich nicht zu Unrecht als "größter anzunehmender Unfall" bezeichnet.
Rz. 113
Zwischen dem ursprünglich erhaltenen und dem herauszugebenden Vermögensgegenstand muss – ähnlich wie im Rahmen eines Vermögensrückfalls i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 10 ErbStG (siehe § 6 Rdn 127>) – "Art- und Funktionsgleichheit" bestehen. Ausreichend als Herausgabe i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG kann auch die Hingabe von Surrogaten sein, z.B. die Abtretung des Auszahlungsanspruchs nach Einzahlung eines geschenkten Geldbetrags in eine Lebensversicherung.
2. Zeitpunkt der Einräumung des Rückforderungsrechts
Rz. 114
Das Rückforderungsrecht muss bereits im ursprünglichen Schenkungsvertrag vorbehalten worden sein. Die nachträgliche Einräumung durch den Beschenkten stellt eine steuerpflichtige Rückschenkung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG dar, aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Ausübung des zugewandten Gestaltungsrechts. Ob bei Grundstückschenkungen im ursprünglichen Vertrag vergessene (aber gewollte) Rückübertragungsrechte im Rahmen einer nachträglichen (zivilrechtlich wirkenden) Heilung i.S.d. § 311b Abs. 1 S. 2 BGB auch steuerlich anerkannt werden, wird wohl zu verneinen sein.
3. Wegfall der Geschäftsgrundlage i.S.d. § 313 BGB
Rz. 115
In der Praxis kommt es im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge regelmäßig zu im Vorfeld unerkannten bzw. ungewollten Steuerfolgen, die neben der Einkommen- und der Grunderwerbsteuer insbesondere die Schenkungsteuer betreffen. Zu beachten ist, dass das später erlangte Bewusstsein über das Bestehen einer Schenkungsteuerpflicht grundsätzlich nicht für die Bejahung eines We...