Rz. 45

Die Fallbeispiele 1 und 2 sind Paradebeispiele dafür, dass nicht regelhaft Sozialhilfe-Regress in solchen konkreten Fallgestaltungen droht. Gleichwohl gibt es in der Praxis Fälle, bei denen der pflegebedingte Bedarf eines Beamten und/oder seiner berücksichtigungsfähigen Angehörigen nicht allein aus Beihilfemitteln gedeckt werden kann. Dann stellt sich die Frage: "Gibt es einen weitergehenden Anspruch auf Beihilfe?" oder "Dürfen ein Beamter und/oder seine Familienangehörigen sozialhilfebedürftig werden?"

a) Verbot der Sozialhilfebedürftigkeit für Beamte?

 

Rz. 46

Die Entscheidung des BVerwG vom 24.1.2012,[17] die zu einer grundlegenden Änderung der Bundesbeihilfeverordnung geführt hat, hat das OVG NRW in der Folgezeit dazu veranlasst, anzunehmen, dass ein Beamter grundsätzlich nicht sozialhilfebedürftig werden dürfe:

Zitat

"Denn die aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht abgeleitete Notwendigkeit zur Schaffung von Härtefallregelungen bei pauschalen beihilferechtlichen Leistungsausschlüssen, die vermeiden sollen, dass der Beamte im Einzelfall mit erheblichen Aufwendungen belastet bleibt, die im Hinblick auf die Höhe der Alimentation nicht mehr zumutbar sind, schließt einen Verweis des Beamten auf die Inanspruchnahme von (allgemeinen) Sozialleistungen der Sache nach gerade aus."[18]

 

Rz. 47

Das BVerwG[19] und mit ihm eine Reihe von Untergerichten hat dieser grundsätzlichen Aussage in den Folgejahren aber eine Absage erteilt und deutlich gemacht, dass es zusätzlich auch weiterhin darauf ankommt, ob die Bedürftigkeit durch zumutbare Eigenvorsorge des Beamten hätte vermieden werden können. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebiete es nicht, über die in den Beihilfevorschriften festgelegten Ansprüche hinaus eine Untergrenze für die Beihilfe so festzulegen, dass der Beihilfeberechtigte nicht auch auf Leistungen nach dem SGB XII (früher BSHG) angewiesen sei. Insoweit handele es sich nicht um mindere Ansprüche, sondern lediglich um andere, die deshalb bestehen, weil beamtenrechtliche Ansprüche nicht gegeben sind.

 

Rz. 48

 

Beispiele

BVerwG[20] – Entscheidung über die zusätzliche Beihilfe für die vollstationär untergebrachte Ehefrau eines pensionierten Polizeioberkommissars, die selbst gesetzlich pflegeversichert war (§ 43 SGB XII), unter Berücksichtigung einer von § 39 BBhV abweichenden landesrechtlichen Regelung (§ 39 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 Buchst. a S. 3 LBhVO Berlin a.F.

OVG Weimar[21] – Fall eines pflegebedürftigen, wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig aus dem Dienst ausgeschiedenen Polizeibeamten, der durch eine Scheidung (Versorgungsausgleich) reduzierte Versorgungsbezüge bezog und der aus Eigenverschulden zwischenzeitlich nicht pflegeversichert war: keine finanzielle Verantwortung des Dienstherrn für die Folgen einer Ehescheidung/eines Insolvenzverfahrens; mit ausführlicher Darstellung, welche Möglichkeiten einer Eigenvorsorge durch eine Pflegezusatzversicherung bestanden hätten (Beihilferecht Thüringen 2013!).

VG Köln[22] – Fall der weder kranken- noch pflegeversicherten Witwe eines Polizeihauptmeisters, bei der durch ordnungsgemäßen Abschluss der an sich verpflichtenden Pflegeversicherung der amtsangemessene Lebensunterhalt hätte sichergestellt werden können (Beihilferecht 2015!).

 

Rz. 49

 

Ergebnis bei Pflegebedürftigkeit

Pflegebedürftige Beamte und/oder ihre berücksichtigungsfähigen Angehörigen werden wegen ihres Pflegebedarfs nicht zwingend sozialhilfebedürftig, weil die Beihilfe den Bedarf in der Regel auffüllt.

Einen uneingeschränkt gültigen Grundsatz, dass ein Beamter, der gar keine oder keine ausreichenden Leistungen wegen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit erhalten kann, niemals sozialhilfebedürftig wird, gibt es entgegen der Rechtsprechung des OVG Münster allerdings nicht.

[18] OVG NRW v. 14.8.2013 – Az.: 1 A 1481/10, DÖV 2014, 91; vgl. diverse Hinweise auf die dazu in der Folge ergangenen Entscheidungen in OVG Weimar v. 8.5.2018 – Az.: 2 KO 656/15 Rn 46, juris Rn 59.
[19] BVerwG v. 26.4.2018 – Az.: 5 C 4.17, LKV 2018, 322–325.
[20] BVerwG v. 26.4.2018 – Az.: 5 C 4.17, LKV 2018, 322–325.
[21] OVG Weimar v. 8.5.2018 – Az.: 2 KO 656/15 Rn 44 ff., juris Rn 59.
[22] VG Köln v. 23.2.2018 – Az.: 19 K 2101/16, juris 2. Orientierungssatz.

b) Obliegenheit zur Eigenvorsorge und private Pflegezusatzversicherung

 

Rz. 50

Der Kern aller Entscheidungen, die die Möglichkeit der Sozialhilfebedürftigkeit eines Beamten oder seiner Angehörigen akzeptieren, ist die Obliegenheit des Beamten zur zumutbaren Eigenvorsorge durch Abschluss einer Pflegezusatzversicherung.

 

Rz. 51

Die gesetzliche Pflegepflichtversicherung ist am 1.1.1995 als "Teilkasko-Versicherung" in Kraft getreten. Diese Pflicht gilt auch für Beamte. Gem. §§ 1 Abs. 2 S. 2, 23 Abs. 1 SGB XI sind diejenigen verpflichtet, eine private Pflegeversicherung abzuschließen, die bereits privat krankenversichert sind. Hierin spiegelt sich die Akzessorietät der Pflegeversicherung zur Krankenversicherung wider, die dem Grunde nach bereits in § 20 SGB XI normiert ist.[23] Die privaten Versicherungsunternehmen sind umfangreich in die gesetzliche Pf...

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