Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 156
Wer Kindern Unterhalt zu leisten hat oder leistet, hat nach § 6 SGB I ein Recht auf Minderung der dadurch entstehenden wirtschaftlichen Belastungen. Es geht daher um den Familienlasten- bzw. -leistungsausgleich, die Minderung des Familienaufwands (§§ 6, 25 SGB I) und einen Ausgleich dafür, dass Familien mit Kindern der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse der Sicherung ihrer künftigen Existenz persönliche und finanzielle Opfer bringen. Der Zufluss von Leistungen aus Erbfall und Schenkung hat im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) keine Bedeutung und ist deshalb hier zu vernachlässigen.
Rz. 157
Anders kann das im Einzelfall im Kindergeldrecht sein. § 25 Abs. 1 SGB I bestimmt, dass nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) Kindergeld in Anspruch genommen werden kann, wenn nicht der Familienleistungsausgleich nach § 31 EStG zur Anwendung kommt. Seit dem Jahressteuergesetz 1996 bezieht nur noch ein ganz kleiner Personenkreis Kindergeld nach dem BKGG. Der Schwerpunkt des Kindergeldrechts liegt heute im Steuerrecht (§§ 31 f., 62 ff. EStG). Gleichwohl haben Fragen aus erbrechtlichen Zuflüssen Eingang in die Rechtsprechung zum BKGG gefunden.
(a) Der Kinderzuschlag nach dem BKGG
Rz. 158
Nach dem BKGG können der Kinderzuschlag und Leistungen für Bildung und Teilhabe in Anspruch genommen werden. Der Kinderzuschlag ist eine Leistung der Familienkasse nach § 6a BKGG. Danach erhalten Personen für die in ihrem Haushalt lebenden unverheirateten Kinder, die noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, einen Kinderzuschlag, wenn durch diesen Kinderzuschlag Hilfebedürftigkeit nach § 9 Abs. 2 SGB II vermieden werden kann, was voraussetzt, dass das betroffene Kind ohne den Kinderzuschlag hilfebedürftig wird.
Rz. 159
Nach der Rechtsprechung des BSG sind Kinderzuschlag und Kindergeld Leistungen, die unterschiedliche Zielsetzungen haben, aber aufeinander bezogen sind und sich wechselseitig ausschließen. Für die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nach § 6a BKGG ist auf den Begriff des Einkommens und des Vermögens nach §§ 11–13 SGB II abzustellen. Der Einkommensbegriff des § 11 SGB II gilt dabei im Rahmen des § 6a BKGG grundsätzlich "uneingeschränkt", weshalb auch die zum SGB II ergangene Rechtsprechung des BSG zu den "bereiten Mitteln" auf den Kinderzuschlag nach Kindergeldrecht Anwendung findet. Der Kinderzuschlag – an der Grenze zum subsidiär ausgestalteten SGB II ("Hartz-IV") – ist also subsidiär ausgestaltet und damit schenkungs- und erbfallempfindlich.
Rz. 160
Da solche Gestaltungen nicht alltäglich sind, sei hier lediglich auf einen erbrechtlichen Fall zum Kinderzuschlag nach § 6a BKGG hingewiesen, den das BSG 2015 entschieden hat und der sich an den damals geltenden Regeln des SGB II orientiert hat. Der Kindesmutter war der Kinderzuschlag versagt worden wegen einer Erbschaft, die mehr als 110.000 EUR betrug. Zum Nachlass gehörte eine erst durch einen Verkauf zu verwertende Eigentumswohnung. Es war Testamentsvollstreckung angeordnet worden: "Der Testamentsvollstrecker soll A G und ihrem Kind nach Möglichkeit aus den Früchten des Vermögens dauerhafte Zuwendungen sichern. Er soll versuchen, den Stamm des ererbten Vermögens zu erhalten. Ist dies nach seinem freien Ermessen untunlich, soll er das ererbte Vermögen in angemessenen, seiner freien Ermessensentscheidung unterliegenden Raten an die Erbin auszahlen." Der Testamentsvollstrecker hatte nach Maßgabe von Verwaltungsanordnungen des Erblassers monatliche Zahlungen in Höhe von 500 EUR "zur Absicherung des Lebensunterhaltes und zur Kompensierung des Ausfalls des Kinderzuschlags" ausgezahlt und außerdem einen Pkw unentgeltlich zur Verfügung gestellt.
Rz. 161
Die Entscheidung ist auch heute noch von besonderer Bedeutung, weil das BSG in dieser Entscheidung – in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zum Behindertentestament – explizit entschieden hat, dass die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB) in einer solchen Fallgestaltung nicht gegen die guten Sitten i.S.v. § 138 BGB zu Lasten der öffentlichen Hand verstößt.
Rz. 162
Gleichzeitig ergab sich im konkreten Fall das spezielle Problem, dass durch die Freigabe von Mitteln durch den Dauertestamentsvollstrecker der eigentliche Bedarf der Klägerin und ihrer Kinder fortlaufend (zumindest teilweise) gedeckt worden war, was zum Wegfall des Leistungsanspruchs führen kann. In nachrangigen Leistungssystemen besteht der Nachrang der Leistungen nämlich auch gegenüber Leistungen Dritter, auch wenn hierauf kein Anspruch besteht. Unerheblich ist dabei, ob die Leistung aufgrund einer gesetzlichen, vertraglichen bzw. sittlichen Verpflichtung oder aus freien Stücken bzw. irrtümlich erbracht wurde. Somit konnte der Leistungsanspruch durch das Handeln des Testamentsvollstreckers vernichtet worden sein. Zu klären war deshalb, so das BSG in der konkreten Entscheidung, "welchen Rechtscharakter diese Zahlung hatte (z.B. "normale" bereite Mittel oder bloßes Dar...